Der HDP-Abgeordnete Hasan Özgüneş hat vor laufender Kamera eine Morddrohung erhalten. Ein Polizist in Cizîr (tr. Cizre) ließ inmitten einer Kundgebung ein Projektil vor die Füße des 65-Jährigen kullern, wie Aufnahmen der Nachrichtenagentur Mezopotamya zeigen. „Die Botschaft ist unmissverständlich: Sie wollen uns Angst machen“, sagte Özgüneş. Anders sei die Spitze einer Patronenhülse kaum zu interpretieren. Der Vorfall reihe sich ein in eine lange Liste von Einschüchterungen. „Wir haben aber keine Angst, nicht einmal vor ihren Kugeln. Unser friedlicher und demokratischer Widerstand wird bis zum Ende fortgesetzt“, so Özgüneş.
Die Drohung ereignete sich am Samstag im Zuge einer öffentlichen Presseerklärung vor dem Sitz des Kreisverbands der HDP Cizîr. Anlass der Zusammenkunft war der dritte Jahrestag der Einführung der Zwangsverwaltung in der nordkurdischen Kreisstadt, die bis zum 29. Oktober 2019 von der HDP regiert worden war. Die Polizei kesselte die Beteiligten, darunter neben Hasan Özgüneş auch dessen Fraktionskollegin Nuran Imir, das abgesetzte Bürgermeister:innen-Duo Berivan Kutlu und Mehmet Zırığ, Mitglieder der lokalen Kreis- und Provinzverbände der HDP sowie Aktivistinnen der Frauenbewegung TJA und des Rates der Friedensmütter, ein und sperrte umliegende Straßen ab. Damit sollte weiterer Zustrom zu der Kundgebung unterbunden werden. Für eine hitzige Diskussion sorgte schließlich die Aufforderung des Einsatzleiters, die Erklärung nicht im öffentlichen Raum abzugeben. Der örtliche HDP-Vorstand protestierte dagegen und setzte sich gegen die Anweisung durch.
Als Mehmet Zırığ eine Rede hielt, in der er das System Zwangsverwaltung als Herrschaftsinstrument gegen demokratisches Verhalten und Waffe gegen die kommunale kurdische Selbstverwaltung bezeichnete, warf ein Polizist dem Parlamentarier Hasan Özgüneş das Projektil vor die Füße. Der Kurde aus Şirnex ist wie praktisch alle Abgeordneten seiner Partei Drohungen gewohnt – persönlich, im Netz, und sogar in der türkischen Nationalversammlung. Doch dieser Vorfall hat eine neue Qualität. Darauf wies auch der HDP-Vorstand in Ankara hin. Die Drohung gegen Özgüneş spreche „für ein unglaubliches Maß an Rücksichtslosigkeit, das die Polizeibehörden dieses Landes erfasst hat”, hieß es in einem ersten Statement. „Solche Provokationen werden uns jedoch nicht dazu bringen können, auch nur einen einzigen Schritt zurückzuweichen. Wir sind hier, an der Seite unseres Volkes.“