Auch drei Wochen nach dem Beginn der Proteste im Iran kennt das Regime nur eine Reaktion: Härte. Es hat mindestens 23 Journalistinnen und Reporter verhaften lassen, unabhängige Medien als Vasallen der USA und Israels gebrandmarkt, Internet und Telefonverbindungen weiträumig blockiert. Die Anstrengungen des herrschenden Systems, jeglicher freier Berichterstattung die Luft abzuschnüren, sind enorm. Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert die Angriffe auf die mutigen Journalistinnen und Journalisten im Iran massiv.
„Der freie Zugang zu Informationen sollte ein grundlegendes Menschenrecht sein, auch im Iran“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Gerade in Phasen von Umbrüchen und Protesten ist es wichtig, sich ungehindert informieren zu können. Dass das iranische Regime diese Lebensader einfach durchtrennen will, zeigt seine Brutalität. Es zeigt aber auch, dass die Herrscher mit dem Rücken zur Wand stehen. Denn die Wahrheit lässt sich niemals komplett unterdrücken.“
Genau das versucht das Regime von Präsident Ebrahim Raisi jedoch mit aller Macht. Derzeit sitzen nach RSF-Zählung 37 Medienschaffende im Gefängnis; bereits vor Beginn der Proteste am 16. September waren es 14. Ausgelöst wurden diese durch den Tod von Mahsa Jina Amini, einer 22-jährigen Frau, die am 13. September von der iranischen Sittenpolizei festgenommen und mutmaßlich schwer misshandelt worden war. Am 16. September verstarb Amini in einem Teheraner Krankenhaus. Nilofar Hamedi war eine der ersten Medienschaffenden, die Amini im Krankenhaus besucht und auch über die Trauer ihrer Eltern berichtet hatte. Hamedi wurde am 22. September festgenommen und ins Teheraner Evin-Gefängnis gebracht. Bereits am 19. September wurde die bekannte Fotojournalistin Yalda Moaiery verhaftet, sie sitzt im Qarchak-Gefängnis, etwas außerhalb der Hauptstadt. Beide Einrichtungen sind wegen ihrer Zustände berüchtigt, seit Jahren gibt es Berichte über Folter und schwere Misshandlungen.
Großflächige Blockaden von Internet und Telefonverbindungen
Die Sicherheitskräfte haben mehrere Journalistinnen und Journalisten vorgeladen, ihnen gedroht und befohlen, die Berichterstattung einzustellen. Bei anderen wurden bei illegalen Hausdurchsuchungen, teils weit nach Mitternacht, alle elektronischen Geräte konfisziert. Die weitreichendsten Folgen hat jedoch die großflächige Sperre von Internet- und Telefonverbindungen seit dem 19. September. An diesem Tag war das Internet in der Provinz Kordestan, aus der Mahsa Amini stammte, vollständig blockiert. Seitdem kommt es in nahezu allen Teilen des Landes zu Netzblockaden, teils großflächig, teils lokal begrenzt wie am 26. September während des Streiks von Studierenden einer Elite-Universität in Teheran. Die Sperren sind nicht immer engmaschig – in Teheran etwa kann es sein, dass sie von 17 Uhr bis Mitternacht in Kraft sind; was einer Art digitaler Ausgangssperre gleichkommt. Das Regime veröffentlicht hierzu jedoch keine offiziellen Informationen oder Ankündigungen.
Die iranischen Behörden haben langjährige Erfahrung mit Internetblockaden, etwa während der gewaltsam niedergeschlagenen Proteste im November 2019. Schon 2006 hat RSF den Iran als „Feind des Internets“ bezeichnet und diese Kritik 2012 mit Bezug auf den Hohen Rat für den Cyberspace erneuert. Facebook, Twitter und Youtube sind schon seit 2006 gesperrt – auch wenn die iranische Führung Twitter als eines ihrer Kommunikationsmittel nutzt. Vor allem die junge iranische Bevölkerung hat deshalb eine gewisse Erfahrung mit VPN-Verbindungen und Proxy-Servern, die es ihr ermöglichten, diese sozialen Netzwerke trotz der Sperren zu nutzen.
In den ersten Tagen der aktuellen Protestwelle, am 21. September, ließ das Regime auch Whatsapp und Instagram sperren. Vor allem letzteres wurde zuvor weithin genutzt, auch und gerade von unabhängigen Medienschaffenden – Instagram machte zuletzt 80 Prozent des Social-Media-Traffics im Iran aus. Ebenfalls betroffen, von sporadischen Ausfällen bis hin zu zeitweisen Komplettsperren, sind das mobile Internet wie auch gewöhnliche Telefonverbindungen. Zudem gibt es Berichte, dass SMS-Nachrichten, die den Namen „Mahsa Amini“ beinhalteten, nicht gesendet wurden. Zuletzt hat das Regime zudem Tech-Experten festnehmen lassen, die die Onlinezensur der Behörden in der Vergangenheit kritisiert hatten.
Seit vielen Jahren steht die iranische Führung dem Internet grundsätzlich skeptisch gegenüber und betrachtet es als eine Sphäre, die es kontrollieren müsse – angeblich, um die Bevölkerung vor problematischen Einflüssen zu schützen. 2012 schaltete die Regierung eine Art iranisches Intranet frei. Seit etwa fünf Jahren nimmt die Nutzung dieses stark zensierten Intranets zu, auch, weil die Nutzung des freien Internets mehrfach verteuert wurde.
Die Unterdrückung der Presse hat im Iran eine lange Tradition
Seit Jahren belegt der Iran auf der RSF-Rangliste der Pressefreiheit einen der hintersten Plätze. In den vergangenen Jahrzehnten wurden hunderte Medienschaffende strafverfolgt, inhaftiert oder hingerichtet – zuletzt der oppositionelle Journalist Ruhollah Sam im Dezember 2020. Die Medien unterliegen systematischer staatlicher Kontrolle. Wer es wagt, kritisch zu berichten, geht das Risiko ein, verhaftet oder nach unfairen Gerichtsverfahren lange ins Gefängnis gesteckt zu werden. Die Haftbedingungen sind häufig lebensgefährlich. Erst Anfang 2022 starb der Lyriker und Filmemacher Baktash Abtin nach einer unzureichend behandelten Covid-19-Infektion. Auch ausländische Medien und Journalistinnen und Reporter im Exil sind von der Verfolgung betroffen, ebenso deren im Iran lebende Verwandte.
Besonders im Fokus der Behörden stehen Journalistinnen. In der iranischen Medienszene sind sie präsenter als in anderen Branchen. Mit der Sichtbarkeit steigt jedoch auch das Gefährdungspotenzial: Neben gezielten Hacking- oder Phishing-Angriffen wird weiblichen Medienschaffenden immer wieder mit Mord oder Vergewaltigung gedroht. Zudem zeigt sich die Repression gegenüber den Medien häufig entlang ethnischer Trennlinien: Gerade unabhängigen kurdischen Medienschaffenden wird oft vorgeworfen, sie unterstützen den kurdischen Separatismus.
Bereits 1988 waren während einer Massenhinrichtung politischer Gefangener auch hunderte Journalistinnen und Journalisten ermordet worden. Ebrahim Raisi, der jetzige Präsident, war zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Generalstaatsanwalt von Teheran. Als solcher war und ist er für das Massaker persönlich mitverantwortlich.
Reporter ohne Grenzen (RSF) / 07.10.2022
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