Die Europäische Kommission hat heute drei Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich eingeleitet und gleichzeitig konkrete Lösungsvorschläge vorgelegt, um den Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland zu erleichtern. Das Vereinigte Königreich hält trotz wiederholter Aufforderungen wesentliche Bestandteile des Nordirlandprotokolls nicht ein und verstößt somit gegen das Völkerrecht. „Die EU und das Vereinigte Königreich müssen gemeinsam die praktischen Probleme lösen, die das Protokoll in Nordirland aufgrund des Brexit mit sich bringt. Ich bin nach wie vor der Überzeugung: Wenn wirklich der politische Wille vorhanden ist, kann das Protokoll funktionieren und wir können unsere Ziele erreichen,“ sagte Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič.
„Ich appelliere an meine Amtskollegen im Vereinigten Königreich, sich in loyaler Zusammenarbeit zu engagieren und das Potenzial der von uns vorgeschlagenen Lösungen auszuloten. Nur gemeinsame Lösungen schaffen die Rechtssicherheit, die den Menschen und Unternehmen in Nordirland gerecht wird“, sagte Šefčovič weiter.
Die Kommission hat heute zwei Vertragsverletzungsverfahren neu eingeleitet und eines vorangebracht. Das im März 2021 eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren wird durch eine mit Gründen versehene Stellungnahme in die zweite Phase gebracht. Das Verfahren wurde ursprünglich eingeleitet, weil das Vereinigte Königreich das Protokoll nicht ordnungsgemäß umgesetzt hatte. Zwei neue Vertragsverletzungsverfahren wurden wegen Verstößen gegen gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Vorschriften der EU und Verstößen gegen die Meldepflicht von Handelsstatistiken eingeleitet.
Mit diesen Vertragsverletzungsverfahren soll erreicht werden, dass das Vereinigte Königreich das Protokoll in einer Reihe von Schlüsselbereichen wieder einhält – mit dem Ziel, die Gesundheit und Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger der EU zu schützen.
Zugleich legt die Kommission heute weitere Einzelheiten zu möglichen Lösungen vor, um den Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland zu erleichtern. Im Oktober 2021 wurden diese Lösungsansätze erstmalig vorgeschlagen. Die Positionspapiere zeigen auf, wie der Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland erheblich vereinfacht werden kann. Die Kommission fordert die Regierung des Vereinigten Königreichs auf, sich ernsthaft und konstruktiv mit diesen Lösungsvorschlägen zu befassen. Wie üblich wird die Kommission sich dabei eng und kontinuierlich mit dem Europäischen Parlament und dem Rat abstimmen.
Vertragsverletzungen
Erstens hat die Kommission beschlossen, das am 15. März 2021 eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren durch eine mit Gründen versehene Stellungnahme in die zweite Phase zu bringen. Das Verfahren wurde ursprünglich eingeleitet, weil das Vereinigte Königreich das Protokoll nicht ordnungsgemäß umgesetzt hatte, vor allem im Hinblick auf die Bescheinigungsanforderungen bei der Beförderung von Agrarerzeugnissen. Es wurde im vergangenen Jahr im Geiste einer konstruktiven Zusammenarbeit ausgesetzt, um Raum für die gemeinsame Suche nach Lösungen zu schaffen. Die seit Februar mangelnde Bereitschaft des Vereinigten Königreichs zu sinnvollen Gesprächen und die einseitigen Maßnahmen in dieser Woche stehen diesem Geiste jedoch unmittelbar entgegen.
Antwortet die Regierung des Vereinigten Königreichs nicht binnen zwei Monaten, erwägt die Kommission, beim Gerichtshof der Europäischen Union gegen das Vereinigte Königreich zu klagen. Nach Artikel 12 Absatz 4 des Protokolls verfügt der Gerichtshof über die in den Verträgen vorgesehenen Befugnisse einschließlich der Möglichkeit, die Zahlung eines Pauschalbetrags oder eines Zwangsgelds zu verhängen.
Zweitens hat die Kommission beschlossen, aus folgenden Gründen zwei neue Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich einzuleiten:
- Versäumnis, seinen Verpflichtungen im Rahmen der gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Vorschriften der EU nachzukommen. Insbesondere führt das Vereinigte Königreich nicht die erforderlichen Kontrollen durch und sorgt nicht für angemessene Personalausstattung und Infrastruktur an den Grenzkontrollstellen in Nordirland. Es hat außerdem Leitlinien herausgegeben, die zur Folge haben, dass das EU-Recht nicht angewandt wird.
- Versäumnis, der EU bestimmte Daten aus der Handelsstatistik in Bezug auf Nordirland entsprechend dem Protokoll zur Verfügung zu stellen.
Damit beginnen förmliche Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 12 Absatz 4 des Protokolls in Verbindung mit Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. In den heutigen Schreiben wird das Vereinigte Königreich aufgefordert, zügig Abhilfemaßnahmen zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass die Bestimmungen des Protokolls wieder eingehalten werden. Das Vereinigte Königreich hat nun zwei Monate Zeit, um auf diese Schreiben zu antworten.
Die Kommission ist bereit, weitere Maßnahmen zu ergreifen.
Lösungen zur Erleichterung des Warenverkehrs zwischen Großbritannien und Nordirland
Die Kommission verfolgt nach wie vor das übergeordnete Ziel, im Rahmen des Protokolls mit dem Vereinigten Königreich gemeinsame Lösungen zu finden. Auf diese Weise können Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für Menschen und Unternehmen in Nordirland gewährleistet werden.
Die Kommission hat die von ihr im Oktober 2021 vorgeschlagenen Regelungen im Bereich Zoll sowie gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Vorschriften in zwei Positionspapieren konkretisiert. Mit der Veröffentlichung dieser Papiere soll aufgezeigt werden, dass im Rahmen des Protokolls Lösungen möglich sind. Die Kommission bleibt dafür offen, diese Lösungen gemeinsam mit der Regierung des Vereinigten Königreichs zu prüfen.
Wie im Oktober 2021 bereits erläutert, schlägt die EU ein vereinfachtes Modell für die Umsetzung des Protokolls vor, bei dem der Warenfluss zwischen Großbritannien und Nordirland für Waren mit endgültigem Bestimmungsort in Nordirland erheblich erleichtert wird. Diese Erleichterung wird durch eine Reihe von Schutzmaßnahmen ermöglicht, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Waren nicht in den EU-Binnenmarkt gelangen.
Die Kommission ist der Auffassung, dass diese Vorschläge den Weg für eine Lösung der Umsetzungsprobleme im Zollbereich und bei den gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen ebnen.
EU-Kommission / 15.06.2022
Foto: EU-Kommission