Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) appelliert an alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, bei der Syrien-Hilfe von der Bundesregierung volle Transparenz zu fordern. Außerdem müsse unbedingt darauf gedrungen werden, dass die kurdischen Regionen bei der Verteilung der von Deutschland mitfinanzierten humanitären Hilfe mindestens gleichberechtigt berücksichtigt werden.
„Nach unseren Informationen fließen Hilfsgelder über das Auswärtige Amt in Berlin bisher vor allem in Gebiete, die von radikalislamischen Milizen und vom türkischen Regime kontrolliert werden. In den von Kurden bewohnten Gebieten kommt kaum etwas an“, kritisierte der GfbV-Nahostexperte Kamal Sido am Montag in Göttingen. Es sei der Eindruck entstanden, dass Hilfe nur an die geleistet wird, die sich zum islamischen Scharia-Recht bekennen und die türkische Expansionspolitik unterstützen.
Auf einer Syrien-Geberkonferenz in Brüssel wurden in der vergangenen Woche mehr als sechs Milliarden Euro für das von Krisen und Krieg gebeutelte Syrien gesammelt, 4,1 Milliarden Euro für 2022 und 2,3 Milliarden Euro für das kommende Jahr. Mit 1,05 Milliarden Euro will Deutschland 2023 fast die Hälfte der zugesagten Gelder beisteuern. So sollen die Lebensperspektiven der Menschen in Syrien und den vom Syrien-Krieg stark betroffenen Nachbarländern verbessert werden, die Millionen Geflüchtete aufgenommen haben. In Syrien sind knapp 15 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, die Ernährung von zwölf Millionen Menschen ist gefährdet.
„Spätestens nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sollte die deutsche Bundesregierung erkennen, dass sie Diktatoren und Autokraten nicht unterstützen darf, die wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan offensichtlich nichts vom Völkerrecht und von Minderheitenrechten halten“, sagte Sido. „Wir sollten den Opfern seiner Politik in Kurdistan, Nordsyrien und im Nordirak beweisen, dass wir tatsächlich an unsere Werte glauben und unsere Verpflichtungen ernst nehmen. Schon jetzt haben die meisten Kurden und andere Minderheiten den Glauben an eine gerechte internationale Ordnung verloren. Sie werfen der NATO vor, nur dann auf das Völkerrecht zu pochen, wenn es den eigenen, meist geopolitischen Interessen des Bündnisses dient.“
Im Fall der Kurden gehe es nicht nur um Schweigen und Vertuschen von Kriegsverbrechen der türkischen Armee, sondern auch um aktive politische, diplomatische und finanzielle Hilfe sowie Waffen- und Rüstungslieferungen an Erdogan. Er ließe nach mehreren Angriffskriegen gegen nordsyrische Regionen – Afrin 2018 und Sare Kaniye 201 – jetzt täglich Drohnen-Angriffe auf Kurden, Yeziden und Christen fliegen, um sie zu vertreiben und in ihren Gebieten fremde Geflüchtete anzusiedeln. Die türkischen Drohnensysteme werden auch mit deutscher Hilfe hergestellt.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) / 16.05.2022