Viele haben die Hilferufe gehört, die aus der Unterführung am Bahnhof Wittlich kamen, doch nur Kujtim „Tim“ Haziri hat reagiert: „Ich bin keiner, der wegguckt“, sagt er. Sofort eilt der DB-Regio-Zugbegleiter zu einer jungen Amerikanerin, die vor dem Aufzug zusammengebrochen ist. Schnell ruft er über sein Handy den Notarzt an, dann startet er zusammen mit dem Ehemann der Amerikanerin die Reanimation. Er übernimmt die Herzdruckmassage, der Ehemann die Mund-zu-Mund-Beatmung. Zusammen gelingt es ihnen, die gut 15 Minuten bis zum Eintreffen des Notarztes zu überbrücken. Und der Arzt holt die junge Mutter ins Leben zurück.
Für diesen selbstlosen Ersthelfereinsatz hat die Jury im Wettbewerb „Eisenbahner/innen mit Herz“ (EimiH) die Goldmedaille vergeben. „Mehr Einsatz für die Fahrgäste geht nicht
mehr“, lobt Dirk Flege, Geschäftsführer des gemeinnützigen Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene, bei der feierlichen Preisverleihung an diesem Mittwoch im Potsdamer Kaiserbahnhof. Bei dem von ihr veranstalteten bundesweiten Wettbewerb, der bereits zum zwölften Mal stattfand, wählen die Juroren aus den von Fahrgästen eingereichten Erlebnissen die schönsten Geschichten aus. Oft sind es Geschichten mit hohem Wiedererkennungswert für Bahnkunden – oder außergewöhnliche Hilfeleistungen, wie im Fall von Tim Haziri.
Ebenfalls nicht alltäglich war der Fall der Studentin aus Budapest, der im Reisezentrum irrtümlicherweise ein neues Ticket für 233 Euro verkauft wurde, nachdem ihr ursprünglicher Zug ausgefallen war. DB-Zugchefin Janina Küfner und DB-Zugbegleiterin Julia Schelhorn trösten die weinende Studentin nicht nur, sondern sorgen selbst nach Dienstschluss in Nürnberg dafür, dass ihr das Geld sofort auf die Kreditkarte zurückgebucht wird. Für den entschlossenen Einsatz gab es für die beiden Fernverkehrs-Mitarbeiterinnen von der Jury die Silbermedaille.
Selbstloser Einsatz für Fahrgäste und Flutopfer
Selbstlosen Einsatz zeigte auch Mohammed Boujettou, seit 20 Jahren Kundenbetreuer der Eurobahn. Er beruhigt einen unter Alkohol und Drogen stehenden Störenfried, damit seine Fahrgäste ihre Anschlüsse in Bielefeld pünktlich erreichen. Nachdem der Störer sogar vor Wut sogar in den Wanderstock eines Mitreisenden gebissen hatte, stellte sich Boujettou mit seinem ganzen Körper zwischen ihn und seine Fahrgäste. Für den starken Auftritt des Alltagshelden bekam er den Bronze-Preis.
Den Sonderpreis erhielt Lehrlokführer Pasquale D’Ambrosio: Der National Express-Mitarbeiter beeindruckte die Jury mit seinem Einsatz für die Flutopfer im Ahrtal: Er war einer der ersten Helfer vor Ort und opferte seine Freizeit, um anzupacken, Schutt wegzuräumen und Keller wiederherzurichten. „Auch in nicht immer einfachen Corona-Zeiten haben sich viele Eisenbahner wieder von ihrer besten Seite gezeigt“, sagt Dirk Flege.
Zum Publikumsliebling wurde in diesem Jahr ein Trio gewählt: DB-Kundenbetreuer Adrian Lindlar sorgte mit seinen Kollegen Atcha Boukari und Stefan Salentin dafür, dass mehr als ein Dutzend Fahrgäste noch in der Nacht von Köln nach Frankfurt kamen. Sie hatten aufgrund einer Verspätung im Ausland den Anschluss verpasst: Der letzte Zug war weg. Doch den fixen Kundenbetreuern gelang es genügend Kombi-Taxis für die Nachtfahrt zu finden.
Sieger und Siegerinnen zeigen: Schienenjobs sind so attraktiv und bunt wie ihre Fahrgäste
Allen Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern mit Herz gemeinsam ist, dass sie an ihrem Beruf vor allem eines lieben: den Kontakt mit Menschen. „Ich konnte mir nie vorstellen, den ganzen Tag im Büro vor einem PC zu sitzen“, sagt Silber-Siegerin Schelhorn. Direkt nach der Schule startete sie eine Ausbildung als Zugbegleiterin bei der Bahn. Zuletzt überzeugte sie sogar ihren Lebensgefährten davon, dass die Bahn auch für ihn der beste Arbeitgeber ist. „Alle haben gesagt, dass ist der perfekte Job für dich“, erzählt ihre Silber-Kollegin Janina Küfner: „Du magst Menschen und bist gerne unterwegs.“ So stieß sie nach tropischen Jahren in der Dominikanischen Republik, wo sie als Reiseleiterin und auf einer Pferderanch jobbte und zuletzt sogar ihre eigene Strandbar führte, zur Bahnergemeinschaft. Küfner: „Auch wenn es ab und zu schwierige Dienste etwa mit Verspätungen gibt: Ich habe es bisher nicht einen Tag bereut.“
So funktioniert der Eisenbahner/innen mit Herz-Wettbewerb
Der „Eisenbahner mit Herz“ ist ein Wettbewerb, mit dem die Allianz pro Schiene seit 2011 alljährlich besonders kundenfreundliche Beschäftige der Schienenbranche auszeichnet. Dafür sammelt das gemeinnützige Verkehrsbündnis Geschichten von Zugreisenden, die sich über besonders nette und hilfsbereite Eisenbahnerinnen und Eisenbahner gefreut haben. Eine Fachjury wählt anschließend aus den vielversprechendsten und auf ihre Plausibilität geprüften Einsendungen die Siegerinnen und Sieger aus.
In der Jury sind die Eisenbahngewerkschaften EVG und GDL, die Fahrgastverbände Pro Bahn, der Verkehrsclub Deutschland, der Deutsche Bahnkunden-Verband sowie der Bundesverband Deutscher Eisenbahnfreunde und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr vertreten. Auch ein Publikumspreis ist Teil des Wettbewerbs. Hier kann jeder an der von der Allianz pro Schiene organisierten Online-Abstimmung teilnehmen.
Allianz pro Schiene e.V. / 04.05.2022
Foto: Allianz pro Schiene e.V.