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EU-Kommission geht gegen missbräuchliche Klagen gegen Journalisten und Menschenrechtsverteidiger vor

„SLAPP-Klagen“

In dem im Dezember 2020 angenommenen Aktionsplan für Demokratie in Europa wurden eine Reihe von Initiativen angekündigt, um Medienfreiheit und -pluralismus zu fördern und zu schützen.

Die EU-Kommission will Journalistinnen und Journalisten und Verteidigerinnen und Verteidiger von Menschenrechten besser vor missbräuchlichen Gerichtsverfahren schützen. „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“ oder „SLAPP-Klagen“ (strategic lawsuits against public participation) werden vorrangig gegen Journalisten und Menschenrechtsverteidiger eingesetzt, um Äußerungen im öffentlichen Interesse zu verhindern oder zu sanktionieren. Die am Mittwoch vorgeschlagene Richtlinie umfasst SLAPP-Klagen in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug. Sie ermöglicht es Richtern, offenkundig missbräuchliche Klagen rasch abzuweisen. Außerdem werden Verfahrensgarantien und Rechtsbehelfe wie Entschädigungen und abschreckende Sanktionen gegen missbräuchliche Klagen festgelegt. In einer ergänzenden Empfehlung fordert die EU-Kommission die Mitgliedstaaten auf, ihre Vorschriften auch in innerstaatlichen Fällen mit den vorgeschlagenen EU-Vorschriften in Einklang zu bringen. Die Mitgliedstaaten werden zudem aufgerufen, eine Reihe anderer Maßnahmen – wie Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen – zu ergreifen, um SLAPP-Klagen zu bekämpfen.

Die für Werte und Transparenz zuständige Vizepräsidentin der Kommission Věra Jourová erklärte: „Wir haben versprochen, Journalistinnen und Journalisten sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger besser gegen diejenigen zu verteidigen, die sie zum Schweigen bringen wollen. Dies wird mit den neuen Vorschriften erreicht. In einer Demokratie können Reichtum und Macht dürfen Reichtum und Macht nie über die Wahrheit bestimmen. Mit diesen Maßnahmen tragen wir zum Schutz der Menschen bei, die Risiken eingehen und sich zu Angelegenheiten im öffentlichen Interesse äußern – z. B. wenn sie über Anschuldigungen zu Geldwäsche und Korruption, Umwelt- und Klimabelange oder andere Dinge berichten, die uns alle angehen.“

EU-Justizkommissar Didier Reynders erklärte: „Die aktive Ausübung des Grundrechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit ist zentral für eine gesunde und lebendige Demokratie. Die EU wird dieses Recht immer schützen. Heute treffen wir wichtige Maßnahmen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten und der Zivilgesellschaft, die immer häufiger mit SLAPP-Klagen bedroht werden. Diese Klagen verzögern oder verhindern die Veröffentlichung von Stellungnahmen zu Angelegenheiten im öffentlichen Interesse und belasten auch die Gerichte unnötig. Wir stellen jetzt die Instrumente zur Verfügung, die diese missbräuchliche Praxis eindämmen.“

Vorschlag für eine EU-Vorschrift gegen SLAPP-Klagen

Die vorgeschlagene Richtlinie stattet die Gerichte und die von SLAPP-Klagen Betroffenen mit Instrumenten aus, mit denen sie offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren abwehren können. Die vorgeschlagenen Garantien werden SLAPP-Klagen in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug umfassen. Die Garantien sollen insbesondere Journalisten und Personen oder Organisationen zugutekommen, die sich für die Verteidigung der Grundrechte und einer Vielzahl anderer Rechte einsetzen, z. B. Umwelt- und Klimarechte, Frauenrechte, Rechte von LGBTIQ-Personen, Rechte von Angehörigen einer ethnischen Minderheit, Arbeitsrechte oder religiöse Freiheiten; sie umfassen allerdings alle Personen, die sich öffentlich an Angelegenheiten allgemeinen Interesses beteiligen. Die Garantien sind darauf ausgerichtet, einen Ausgleich zwischen dem Zugang zur Justiz sowie zum Recht auf Privatsphäre und dem Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit zu gewährleisten. Wichtigste Elemente des Vorschlags:

  • Vorzeitige Einstellung eines offenkundig unbegründeten Gerichtsverfahrens – die Gerichte werden ein Verfahren frühzeitig abweisen können, wenn ein Fall offenkundig unbegründet ist. In einem solchen Fall obliegt es dem Kläger nachzuweisen, dass die Klage nicht offenkundig unbegründet ist.
  • Verfahrenskosten – der Kläger muss alle Kosten – einschließlich der Anwaltskosten des Beklagten – übernehmen, wenn ein Fall als missbräuchlich abgewiesen wird.
  • Schadensersatz – der Betroffene einer SLAPP-Klage hat das Recht auf eine volle Entschädigung für den erlittenen materiellen oder immateriellen Schaden.
  • Abschreckende Sanktionen – um Kläger von missbräuchlichen Gerichtsverfahren abzuhalten, können Gerichte über diejenigen, die solche Fälle vor Gericht bringen, abschreckende Sanktionen verhängen.
  • Schutz gegen Urteile aus einem Drittland – die Mitgliedstaaten sollten die Anerkennung eines Urteils aus einem Drittland gegen eine in einem Mitgliedstaat lebende Person ablehnen, wenn dieses nach den Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats offenkundig unbegründet oder missbräuchlich wäre. Die betroffene Person kann auch in dem Mitgliedstaat ihres Wohnsitzes Entschädigung für den Schaden und die Kosten beantragen.

Empfehlung an die Mitgliedstaaten

Die heute angenommene Empfehlung der Kommission ergänzt die Richtlinie und fordert die Mitgliedstaaten auf, Folgendes zu gewährleisten:

  • Nationale Rechtsrahmen bieten die notwendigen Garantien, ähnlich jenen auf EU-Ebene, um auf nationaler Ebene gegen SLAPP-Klagen vorzugehen. Dazu gehören Verfahrensgarantien wie eine frühzeitige Abweisung von offenkundig unbegründeten Gerichtsverfahren. Die Mitgliedstaaten müssten auch sicherstellen, dass ihre Vorschriften gegen Verleumdung, die zu den häufigsten Gründen für eine SLAPP-Klage zählt, keine ungerechtfertigten Auswirkungen auf das Recht auf freie Meinungsäußerung, eine offene, freie und pluralistische Medienlandschaft und die öffentliche Teilhabe haben.
  • Für Angehörige der Rechtsberufe und potenzielle Opfer von SLAPP-Klagen gibt es Schulungen, damit sie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten im wirksamen Umgang mit diesen Gerichtsverfahren verbessern können. Das Europäische Netz für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten (EJTN) wird an der Koordinierung beteiligt sein und dafür sorgen, dass entsprechende Informationen in allen Mitgliedstaaten verbreitet werden.
  • Sensibilisierungs- und Informationskampagnen sollen durchgeführt werden, damit Journalisten und Menschenrechtsverteidiger erkennen können, wenn sie mit SLAPP-Klagen konfrontiert sind.
  • Opfer von SLAPP-Klagen erhalten individuelle und unabhängige Unterstützung, unter anderem von Anwaltskanzleien, die sie kostenfrei verteidigen;
  • Auf nationaler Ebene erhobene aggregierte Daten zu offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren zur Verhinderung von öffentlicher Beteiligung werden der Kommission jährlich, ab 2023 übermittelt.

Weiteres Vorgehen

Die vorgeschlagene Richtlinie muss erst vom Europäischen Parlament und vom Rat verhandelt und angenommen werden, um zu EU-Recht zu werden.

Die Empfehlung der Kommission findet unmittelbar Anwendung. Die Mitgliedstaaten müssen der Kommission 18 Monate nach Annahme der Empfehlung über deren Umsetzung Bericht erstatten.

Hintergrund

In dem im Dezember 2020 angenommenen Aktionsplan für Demokratie in Europa wurden eine Reihe von Initiativen angekündigt, um Medienfreiheit und -pluralismus zu fördern und zu schützen. In diesem Zusammenhang hat die Kommission im September 2021 erstmals eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Empfehlung zur Sicherheit von Journalisten vorgestellt. Mit Maßnahmen zum Schutz von Journalisten und Organisationen der Zivilgesellschaft vor missbräuchlichen Klagen wurde heute ein weiterer Schritt unternommen. Der Klagemissbrauch in der EU nimmt zu, und Betroffene sind oftmals mit mehreren Klagen gleichzeitig und in mehreren Gerichtsbarkeiten konfrontiert. Diese Gerichtsverfahren haben negative Auswirkungen auf die Bereitschaft und die Fähigkeit von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, ihre Arbeit fortzusetzen und eine abschreckende Wirkung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Informationsfreiheit und eine pluralistische öffentliche Debatte.

SLAPP-Klagen sind in einigen Mitgliedstaaten ein ernsthaftes Problem, wie aus den Rechtsstaatlichkeitsberichten 2020 und 2021 hervorgeht. Die Media Freedom Rapid Response (Krisenreaktion bei Verstößen gegen die Medienfreiheit) dokumentierte im Jahr 2021 insgesamt 439 Warnmeldungen, einschließlich SLAPP-Klagen, wobei 778 Personen oder Einrichtungen im Medienbereich in 24 EU-Mitgliedstaaten angegriffen wurden. In mehr als einem von fünf Fällen (22,1 Prozent – 97 Warnmeldungen) waren Medienakteure von rechtlichen Konsequenzen betroffen.

Die zunehmende Bedrohung der physischen Sicherheit und der Online-Sicherheit, sowie juristische Bedrohungen und missbräuchliche Klagen schaffen ein Umfeld, in dem Journalisten mehr und mehr Anfeindungen ausgesetzt sind, was schwerwiegende Auswirkungen auf ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit, ihre Arbeit fortzusetzen, hat. Ein tragisches Beispiel ist die Journalistin Daphne Caruana Galizia, gegen die zum Zeitpunkt ihrer Ermordung 2017 mehr als 40 Klagen anhängig waren. Mit SLAPP-Klagen sollen Menschenrechtsverteidiger durch langwierige Verfahren, finanziellen Druck und der Androhung von strafrechtlichen Sanktionen schikaniert, eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht werden. Dabei sind Journalisten jedoch nicht die einzigen Ziele. Menschenrechtsverteidiger und Organisationen der Zivilgesellschaft, insbesondere jene, die im Bereich Menschenrechte und Umwelt aktiv sind, sind ebenfalls SLAPP-Klagen ausgesetzt.

Als Teil der Maßnahmen zum Schutz der Unabhängigkeit und des Pluralismus der Medien und wie von Präsidentin von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union 2021 angekündigt, wird die Kommission einen Rechtsakt zur Medienfreiheit vorlegen. Diese Initiative soll im dritten Quartal dieses Jahres angenommen werden.

EU-Kommission / 27.04.2022

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