Am 28. April fand im Heidelberger Tankturm das 5. Heidelberger Forum Gesundheitsversorgung statt. Veranstalter waren der medhochzwei Verlag, die Gesundheitsplattform Rhein-Neckar und die Zeitschrift Welt der Krankenversicherung.
Mit rund 90 Teilnehmern und namhaften Diskutantinnen und Diskutanten ging es darum, Bedingungen zu erörtern, wie eine ergebnisbezogene Systemtransformation von der Krankheitszentrierung zur Gesundheitsversorgung gelingen kann.
Die zentralen Ergebnisse auf einen Blick:
- Vernetzung und Integration im Versorgungsumfeld sollten systematisch ausgebaut werden und Prävention in jede Versorgungsphase verbindlich einbezogen werden.
- Eine stärkere Patientenzentrierung und die Förderung von Gesundheitskompetenz sind durchgängig notwendig.
- Die Umorientierung auf Ergebnisbezogenheit im Versorgungsprozess ist von zentraler Bedeutung – Voraussetzung dafür ist eine Transparenz über Strukturen, Prozesse und Ergebnisse.
- Die Einbeziehung von Kunden- und Patientensicht muss eine gewichtige Rolle spielen.
- Die Digitalisierung muss transformationsunterstützend genutzt werden unter Beachtung der Interoperabilität. Datenschutz darf dabei einer sinnvollen Datennutzung nicht im Weg stehen.
In seiner Keynote attestierte Prof. Dr. Reinhard Busse, aktuell berufen in die Regierungskommission zur Krankenhausstrukturreform, dem deutschen Gesundheitssystem im internationalen Vergleich „Hochtourigkeit“ bei einer hohen Inanspruchnahme stationärer und ambulanter Leistungen, was sich auch in den Ausgaben pro Kopf widerspiegele. Es werde im Wesentlichen eine große Menge an Leistungsanbietern nach Leistungen (Volume) bezahlt auf Basis von Vergütungssystemen, die dies eher anreizen würden. Regulierungsinstrumente wirkten nicht ineinander und die Leitlinien legten eher fest, was gemacht werden, und weniger, was nicht gemacht werden soll. Zudem fördere keine Vergütungsform Qualität und Ergebnisse (Value). Eine Umorientierung auf Ergebnisbezogenheit im Versorgungsprozess sei daher von zentraler Bedeutung.
Im ersten Panel „Gesundheitsversorgung – Prävention, Behandlung, Pflege – patientenzentriert“ erläuterten Dipl. med. Ingrid Dänschel, Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Hennes, Dr. h.c. Andreas Westerfellhaus, Sabine Maur und Dr. Gertrud Demmler ihre Perspektiven. Es sei in Zukunft grundsätzlich mehr Vernetzung und Integration im Versorgungsumfeld notwendig. Vernetzung sei dabei auch eine Haltungsfrage. Da der Schwerpunkt der Versorgung in Deutschland nach wie vor auf der kurativen Medizin liege, käme es mehr darauf an, den Stellenwert von Prävention in allen Bereichen zu erhöhen. Die Zusammenarbeit und Vernetzung der verschiedenen Gesundheitsprofessionen im Hinblick auf frühzeitige Behandlung sei überall auszubauen. Dabei müssen den regionalen Strukturen und Prozessen Handlungsspielräume zukommen. Auch ältere Menschen können von Prävention und Rehabilitation profitieren. Es müsse eine konsequente Transparenz über Strukturen, Prozesse und Ergebnisse hergestellt werden. Die sprechende Medizin sei anderes bewertet nachhaltig zu verankern und ein permanentes Patienten- und Versichertenfeedback sei zur Förderung von Qualität in der Behandlung flächendeckend einzuführen.
Das Thema „Quadratur der Zukunftsgestaltung: Innovation, Regionalität, Digitalisierung, Transformation“ war Gegenstand des zweiten Panels mit Johannes Bauernfeind, Istok Kespret, Landrat Helmut Riegger vom Landkreis Calw, Thomas Ballast und Christian Grapow. Kooperation auf der regionalen Ebene durchgängig etablieren, um dabei sowohl Versorgungsunterschieden patientenzentriert Rechnung zu tragen als auch die Regel- und Basisversorgung zu sichern, sei eine Transformationsaufgabe, die dezentral angegangen werden müsse auf Basis zentraler Rahmenvorgaben. Wichtig dabei sei das Verfügbarmachen von Daten für die Versorgungssteuerung. Kritisch hinterfragt wird eine Mentalität, wonach Veränderungsbereitschaft nur dann wachse, wenn sich monetärer Druck ergebe. Landrat Riegger stellte das Kooperationsprojekt Gesundheitscampus Calw in Kooperation mit Krankenkassen, Hausärzten, Fachärzten, stationärer Versorgung und anderen Leistungserbringern als sektorenübergreifenden Campus der kurzen Wege vor. Digitalisierung würde dabei transformationsunterstützend wirken. In anderen Regionen käme es darauf an, Wissen und Therapie auch über Entfernungen verfügbar zu machen. Die unterschiedlichen digitalen Optionen sollten konsequent dazu genutzt werden, Kooperation im Sinne patientenindividueller Versorgung mittels Telemedizin, Online-Konferenzen, Online-Schulungen auch u. a. zur Kompensation des Fachkräftemangels zu etablieren. Transformation sei letztlich auch eine Haltungsfrage. Wichtig sei auch eine Pilotierung von Best-Practice-Modellen aus der ganzen Welt. Die Einbindung der Patientinnen und Patienten in die Therapie- und Produktwelt – wenn möglich und sinnvoll – auch digital unterstützt, sei auszubauen. Als besonders bedeutsam wurde die Interoperabilität hervorgehoben.
Prof. Dr. Jürgen Wasem eröffnete mit einem Impulsvortrag die abschließende Talkrunde zum Thema „Ergebnis- und Finanzperspektiven – Value und Vergütung“ indem er auf die Dimensionen der Ziele von Vergütungssystemen und deren Zielkonflikte einging, wie z. B. den zwischen Qualitätsanforderungen und Wirtschaftlichkeitsgebot. Daraus ergeben sich in unserem Gesundheitssystem regelhaft Vergütungs-Mischsysteme mit entsprechend gemischten Anreizwirkungen. Bislang gebe es keine explizite Adressierung von Value. Die Vergütungssysteme im deutschen Gesundheitssystem seien stark durch gesundheitsökonomische Analysen beeinflusst. Bezüglich „Value“ gebe es neben Definitions- und Operationalisierungsproblemen auch Validitäts- und Transformationsprobleme. Vergütungssysteme müssten multiple Ziele verfolgen, wobei Value nur eines davon sein könne, so Wasem. Daher könne das „dicke Brett“ des „mehr Value“ in der Vergütung nur mit Vorsicht und Augenmaß angebohrt werden, was sowohl bei der Vergütung der Leistungserbringer als auch bei der Finanzierung der Krankenkassen gelte. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass wo möglich alle Anstrengungen zu einer nachvollziehbaren Ergebnisvergütung unternommen werden sollten. Dazu bedarf es vernünftiger Daten. Auch sollte die Kundensicht bei der Value-Debatte eine Rolle spielen. Es käme auf eine zunehmende geschlechtsspezifische Individualisierung der Versorgung an. Der Qualitätswettbewerb müsse Prävention miteinschließen. Es werden mehr patientenzentrierte Outcome-Messungen gefordert.
In Ihrem abschließenden Statement für das Gesundheitsland Baden-Württemberg wies Leonie Dirks, Amtschefin und Ministerialdirektorin des Sozialministeriums Baden-Württemberg, auf die derzeitige Förderung von 60 Projekten mit über 100 Mio. Euro hin. Organisationsformen mit einem sektorenübergreifenden Ansatz und einer Verzahnung zu Prävention, Reha und Pflege wie aber auch der Arzneimittelversorgung trügen zu einer bedarfsgerechten, patientenorientierten Versorgung bei. Auf die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten komme es dabei an. Darin sehe das Land Baden-Württemberg eine zentrale politische Gestaltungsaufgabe.
Das 5. Heidelberger Forum Gesundheitsversorgung hat wichtige Impulse für die praktische Weiterentwicklung von Strukturen und Prozessen im Gesundheitswesen gesetzt. Es wird nun darauf ankommen, diese Impulse in einer kooperativen, patientenzentrierten Versorgung zu leben und die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen entsprechend weiterzuentwickeln. Der geschichtsträchtige Tankturm war auch nach Auffassung vieler Teilnehmer und Teilnehmerinnen ein spannender Ort des Austausches.
medhochzwei Verlag GmbH / 04.05.2022
Foto: medhochzwei Verlag GmbH