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„Normalisierung“ für kurdische Sprache nicht in Sicht

Corona

Mit Corona hat der türkische Staat sein Instrumentarium zur Unterdrückung des Kurdischen erweitert, infektionsrechtliche Bestimmungen werden überall als Mittel zur Isolierung der Kultur eingesetzt: Auf Bühnen, Straßen, in Gerichten und Gefängnissen.

Die Unterdrückung der kurdischen Kultur zieht sich durch die gesamte Geschichte der Türkei. Die Aufhebung des Sprachverbots nahm ihr zwar die Spitze, von einer Gleichberechtigung türkischsprachiger und kurdischsprachiger Menschen kann jedoch bis heute nicht die Rede sein. Mit der Covid-19-Pandemie hat der türkische Staat sein Instrumentarium zur Unterdrückung des Kurdischen erweitert, infektionsrechtliche Bestimmungen werden als Mittel zur Isolierung der Kultur eingesetzt. Besonders stechen die Verbote von künstlerischen Veranstaltungen hervor: Oftmals sehen die Behörden in der kurdischen Sprache ein Sicherheitsrisiko für die öffentliche Ordnung. Demgegenüber fallen türkischsprachige Events nicht unter die im Zuge von Corona eingeführten Verbote. Ein Beispiel aus der jüngeren Zeit ist die Verhinderung einer Aufführung der kurdischen Interpretation des Theaterstücks „Tartuffe“ von Molière in Mêrdîn durch den Gouverneur persönlich.

Doch nicht nur auf den kurdischen Bühnen und an anderen Orten der Begegnung, des Austauschs und des Miteinanders ist momentan Stille. Der unterdrückerische Apparat arbeitet auch hinter den Gefängnismauern und in Gerichtssälen uneingeschränkt weiter. Wir veröffentlichen einige Beispiele, die in den letzten Monaten Einzug in die mediale Berichterstattung gefunden haben und nur die Spitze des Eisbergs massiver Angriffe auf die kurdische Kultur darstellen.

2. Juni 2021: In Istanbul wird das Verfahren gegen das Verbot der Aufführung des Theaterstücks „Bêrû“ (Ohne Gesicht) von der Theatergruppe Jiyana Nû (Neues Leben) eröffnet. Die Darbietung der kurdischen Adaption des Stücks „Hohn der Angst“ von Dario Fo war im Oktober 2020 mit Hinweis auf die „öffentliche Ordnung“ vom Landratsamt Gaziosmanpaşa verboten worden.

17. Juni 2021: Das Gericht entscheidet zu Gunsten der türkischen Behörden. Zur Begründung heißt es, das Theaterensemble Jiyana Nû als Gruppe des Kulturzentrums Mesopotamien (Navenda Çanda Mezopotamya, NÇM) stehe in Verbindung mit der PKK. Das Aufführungsverbot sei damit rechtens.

7. Juli 2021: In der Istanbuler Einkaufsmeile Istiklal Caddesi werden die Instrumente von kurdischen Straßenmusikern durch Beamte der Ordnungspolizei (Zabıta) beschlagnahmt. Als Grund wird herangeführt, dass sie sich an das unmittelbar davor ausgesprochene Gesangsverbot nicht gehalten haben.

23. August 2021: Die Gefängnisleitung der Frauenvollzugsanstalt in Xarpêt (tr. Elazığ) leitet Disziplinarverfahren gegen neun Insassinnen ein. Unter ihnen befinden sich namhafte Persönlichkeiten aus der Politik, darunter die KCD-Vorsitzende Leyla Güven, die ehemalige Chefin der HDP-Amed, Hülya Alökmen Uyanık, und die stellvertretende ESP-Vorsitzende Fethiye Ok Çiçek. Ihr Vergehen: Tänze, die begleitet worden sein sollen von Gesang in einer „unverständlichen Sprache“ – gemeint ist Kurdisch.

31. August 2021: Im Frauengefängnis Istanbul-Bakırköy inhaftierte Gefangene machen öffentlich, wegen kurdischsprachigen Liedern mit Disziplinarstrafen belegt worden zu sein. Versuche, entsprechende Widersprüche ebenfalls auf Kurdisch einzureichen, werden unterbunden.

16. September 2021: Die Oberstaatsanwaltschaft Batman (ku. Êlih) leitet ein Ermittlungsverfahren gegen dreizehn Personen ein, die bei einer Kundgebung am 14. August in Begleitung des Liedes „Serhildan Jiyan e“ des Sängers Şivan Perwer in der Öffentlichkeit getanzt haben sollen.

5. Oktober 2021: Der türkische Verfassungsgerichtshof bestätigt die Rechtsauffassung eines Instanzgerichts in Amed (tr. Diyarbakir), das den Busfahrer Kadri Pervane wegen „Terrorpropaganda“ zu zwei Jahren Haft verurteilt hatte. Sein Vergehen: Während der Beförderung von Fahrgästen kurdische Musik in hoher Lautstärke zu hören. Mit dem Urteil sei nicht gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit verstoßen worden.

13. Oktober 2021: In Mêrdîn stört die türkische Polizei mit Verweis auf die „Corona-Verordnung“ eine vom kurdischen Buchverlag Avesta organisierte Literaturveranstaltung mit dem Schauspieler und Gründer des Theaterkollektivs „Şermola Performans”, Mîrza Metîn. Daraufhin sieht sich der Verlag gezwungen, alle weiteren Veranstaltungen abzusagen.

16. Oktober 2021: Ein Konzert des NÇM zum 30. Gründungsjubiläum wird vom Landratsamt des Istanbuler Bezirks Kadıköy kurzfristig verboten. Zur Begründung macht die Behörde geltend, dass die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet seien. Das habe eine von ihr angestellte Gefahrenprognose ergeben. Zudem bestünden Bedenken, dass das Konzert die Rechte und Freiheiten anderer gefährde und Raum für Straftaten eröffne.

13. November 2021: Der im NÇM organisierte Künstler Veysi Ermiş wird von einem Gericht in Istanbul wegen „Terrorpropaganda“ zu einer Haftstrafe von einem Jahr, sechs Monaten und zwanzig Tagen verurteilt. Zur Begründung heißt es, in seinen Liedern besinge er „Kurdistan“ und die „Guerilla“.

15. November 2021: Das Landratsamt des Istanbuler Stadtteils Fatih spricht ein Verbot für das Stand-Up-Event „Dawiya Dawî“ von Özcan Ateş aus. Die Veranstaltung wurde vom HDP-Jugendrat im Rahmen einer Kampagne gegen Drogenabhängigkeit organisiert.

16. November 2021: Die von der Regierungspartei AKP geführte Stadtverwaltung in Ankara-Keçiören sagt ein für den 4. Dezember im Kulturzentrum Neşet Ertaş geplantes Konzert des kurdischen Musikers Mem Ararat ab. Der Saal-Mietvertrag wird gekündigt. Zur Begründung lässt die Kommune verlauten: „Wir haben nicht gewusst, dass auf dem Programm kurdische Lieder stehen.“

5. Dezember 2021: Das Gouverneursamt für die Provinz Mêrdîn weigert sich, eine Genehmigung für die Aufführung der kurdischen Interpretation des Theaterstücks „Tartuffe“ zu erteilen. Als Begründung zieht die Behörde das Aktivitätsverbot im öffentlichen Raum heran, das im Abstand von 15 Tagen wegen vermeintlicher „Sicherheitsbedenken“ routinemäßig erneuert wird. Das Stadttheater von Diyarbakır (ku. Amed), welches das Stück aufführen will, sieht sich gezwungen, die Aufführung bis auf weiteres gänzlich abzusagen.

ANF

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