Das Parlament fordert neue EU-Vorschriften, um schikanöse Klagen einzudämmen, die darauf abzielen, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern.
In einer Entschließung, die mit 444 Ja-Stimmen, 48 Nein-Stimmen und 75 Enthaltungen angenommen wurde, schlagen die Abgeordneten eine Reihe von Maßnahmen vor, um der Bedrohung von Journalisten, Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft in Europa durch strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (sogenannte SLAPP-Klagen) entgegenzuwirken. SLAPP-Klagen sind häufig unbegründet, beruhen auf mutwilligen Forderungen oder Übertreibungen und werden eingeleitet, um die Zielpersonen einzuschüchtern, beruflich zu diskreditieren und zu belästigen, mit dem letztendlichen Ziel, sie zu erpressen und zum Schweigen zu zwingen.
Die Abgeordneten sind besorgt über die Auswirkungen dieser Klagen auf die EU-Werte, den Binnenmarkt und das EU-Justizsystem. Der Text hebt das Ungleichgewicht in Bezug auf die Machtposition und die Ressourcen zwischen den Parteien von SLAPP-Klagen hervor, wodurch der Grundsatz der Waffengleichheit und damit das Recht auf ein faires Verfahren untergraben werden. Die Abgeordneten sind der Auffassung, dass SLAPP-Klagen besonders besorgniserregend sind, wenn sie direkt oder indirekt aus dem Staatshaushalt finanziert werden und mit anderen indirekten und direkten staatlichen Maßnahmen gegen unabhängige Medien, unabhängigen Journalismus und die Zivilgesellschaft kombiniert werden.
Maßnahmen zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter
Das Parlament bedauert, dass bisher kein Mitgliedstaat gezielte Rechtsvorschriften zum Schutz vor SLAPP-Klagen erlassen hat. Daher fordert es die Kommission auf, ein Maßnahmenpaket vorzulegen, das auch Rechtsvorschriften umfasst. Diese sollten nach Ansicht der Abgeordneten Folgendes umfassen:
- eine EU-Richtlinie, in der Mindeststandards für den Schutz vor SLAPP-Klagen festgelegt werden, die Opfer schützen und gleichzeitig den Missbrauch von gegen SLAPP-Klagen gerichteten Maßnahmen verhindern und sanktionieren soll;
- einen ehrgeizigen Rechtsrahmen für das vorgesehene Gesetz zur Medienfreiheit;
- Verhinderung von „Klagetourismus“ oder „Forum Shopping“ – bei denen Kläger ihre Klagen in der für sie günstigsten Gerichtsbarkeit einreichen – durch die Einführung einer einheitlichen und eindeutigen Kollisionsnorm für Verleumdungsklagen und durch die Festlegung, dass das Gericht an dem Ort ist, an dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat;
- Regeln für die frühzeitige Abweisung von Klagen durch die Gerichte, damit missbräuchliche Klagen auf der Grundlage objektiver Kriterien schnell eingestellt werden können; der Kläger sollte mit Sanktionen rechnen müssen, wenn er nicht begründen kann, inwiefern sein Vorgehen nicht missbräuchlich ist;
- Schutzmaßnahmen gegen kombinierte SLAPP-Klagen, d. h. solche, die straf- und zivilrechtliche Anklagen kombinieren, und Maßnahmen, die sicherstellen, dass der Straftatbestand der Verleumdung nicht für SLAPP-Klagen verwendet werden kann; und
- einen EU-Fonds zur Unterstützung der Opfer von SLAPP-Klagen und ihrer Familien sowie eine angemessene Schulung von Richtern und Anwälten.
Mitberichterstatter Tiemo Wölken (S&D, DE) sagte: „Wir können nicht tatenlos zusehen, wie die Rechtsstaatlichkeit zunehmend bedroht wird und die Meinungs-, Informations- und Vereinigungsfreiheit untergraben wird. Es ist unsere Pflicht, Journalisten, Nichtregierungsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft zu schützen, die über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse berichten. Unsere Gerichte dürfen weder eine Spielwiese für reiche und mächtige Einzelpersonen, Unternehmen oder Politiker sein, noch dürfen sie überlastet oder zur persönlichen Bereicherung missbraucht werden.“
Mitberichterstatterin Roberta Metsola (EVP, MT) sagte: „Dieser Bericht sollte als Blaupause für den Schutz von Journalisten dienen, um diejenigen zu schützen, die nach der Wahrheit suchen, um die Meinungsfreiheit zu wahren und unser Recht auf Wissen zu schützen. Diese partei- und ausschussübergreifende Resolution stellt einen Wendepunkt für den Journalismus im Kampf gegen missbräuchliche Klagen dar. Es gibt keine Rechtfertigung für den Missbrauch unserer Rechtssysteme – das ist die Botschaft, die wir heute mit unserem starken Votum senden.“
Nächste Schritte
Am 4. Oktober leitete die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation ein, die in eine bevorstehende Initiative zur Bekämpfung missbräuchlicher Klagen gegen Journalisten und Rechtsverteidiger einfließen soll. Es wird erwartet, dass die Kommission im Jahr 2022 einen Europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit vorlegen wird, der die Unabhängigkeit und den Pluralismus der Medien schützen soll.
Europäisches Parlament / 11.11.2021