In ihrer Humboldt-Rede zu Europa hat EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager Montag in Berlin dazu aufgerufen, die demokratischen Werte in der digitalen Welt zu verteidigen. Vor vielen Studierenden warnte sie an der Humboldt-Universität zu Berlin vor den Gefahren, die von den großen Plattformen für die Demokratie ausgehen und erläuterte, wie die EU mit ihren Regulierungsvorschlägen für Transparenz, Fairness und Sicherheit in der digitalen Welt sorgen will. „Die digitale Transformation unserer Gesellschaft braucht Orientierung und klare Regeln. Es ist nicht hinnehmbar, dass einige wenige private Plattformen die Kontrolle übernommen haben“, so die Kommissionsvizepräsidentin. „In unserer Demokratie dürfen nicht die größten Plattformen über die Spielregeln entscheiden. Es ist Sache derjenigen, die wir gewählt haben, diese Regeln zum Wohle aller festzulegen.“ Denn Demokratien entstünden nicht einfach so. „Sie brauchen Arbeit, Debatten, Kompromisse und Menschen, die bereit sind, dafür zu kämpfen. Sowohl online als auch offline.“
„Jahrzehntelang konnten die Torwächter fast nach Belieben handeln“, so Vestager. Vor einigen Jahren aber habe sich die Europäische Union an die Spitze einer weltweiten Initiative gesetzt, um diesen Trend umzukehren. In dem Bestreben, die Fairness wiederherzustellen und die Menschen zu schützen, haben wir einen globalen Standard für den Schutz personenbezogener Daten geschaffen. Vor allem aber haben wir den Ehrgeiz, unser mächtigstes und doch zerbrechliches Gemeingut zu bewahren: unsere liberale Demokratie.“
Vestager nennt zwei Möglichkeiten, um dieses Ziel zu erreichen: „Erstens können wir die Menschen befähigen, indem wir ihnen die Rechte und das Wissen geben, das sie brauchen, um die Kontrolle über ihre digitalen Interaktionen zu behalten. Zweitens regulieren wir die verschiedenen Anbieter digitaler Dienste, je nach ihrer Rolle in unserer Gesellschaft und Wirtschaft und dem Risiko, das mit ihnen verbunden sein kann. Dieser zweigleisige Ansatz zieht sich durch alle unsere jüngsten Initiativen zur Digitalpolitik.“
Dabei fange die EU nicht bei Null an. „Seit 2016 stellen unsere Bürgerrechte, die Allgemeine Datenschutzverordnung, die Weichen dafür, dass die Demokratie mit der Technologie Schritt halten kann. Mit ihr wurde das Grundprinzip eingeführt, dass wir als Bürgerinnen und Bürger online genauso Rechte haben wie offline. Das Recht, vergessen zu werden, unsere Daten zu besitzen und zu kontrollieren, zu wählen, ob wir verfolgt werden wollen oder nicht.“
Aber die EU müsse noch weitergehen, so Kommissionsvizepräsidentin und verwies auf Reihe von europäischen digitalen Grundsätzen, die die EU-Kommission vorgeschlagen hat, wie beispielsweise ein allgemeiner Zugang zu einer hochwertigen Internetverbindung, das Recht auf eine Ausbildung mit ausreichenden digitalen Fähigkeiten zur Beherrschung der Technologie und das Recht auf Zugang zu fairen und nicht diskriminierenden Online-Diensten.
Neben den Grundrechten stütze sich die Demokratie auf eine weitere zentrale, aber weniger sichtbare Komponente: das Wissen. Es sei ein bekanntes Sprichwort, dass autoritäre Regime von Angst und Unwissenheit leben. Auf diese Weise könnten die Menschen kontrolliert werden. „Je weniger wir wissen, wie die Dinge funktionieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir die Kontrolle aus der Hand geben. Deshalb ist es eine unserer Hauptprioritäten, die Menschen mit dem Wissen auszustatten, wie das Internet funktioniert. Dies ist eines der Ziele unseres vorgeschlagenen Gesetzes über digitale Dienste.
Der Rechtsakt für digitale Dienste ist der zentrale Teil der EU-Gesetzgebung, der regelt, wie die von digitalen Plattformen angebotenen Inhalte zu verarbeiten und zu behandeln sind. Oder um es im Klartext zu sagen: Mit dem Rechtsakt für digitale Dienste führen wir Regeln für das Internet ein. Es ist wie die Einführung von Verkehrsregeln, die festlegen, was erlaubt und was nicht erlaubt ist und wer verantwortlich ist. Zum ersten Mal wird die Verantwortung der digitalen Plattformen für ein transparentes, freies und zugleich sicheres digitales Umfeld festgeschrieben.“
Unsere Maßnahmen zur Erhaltung der Demokratie im digitalen Zeitalter wären nicht vollständig ohne eine weitere, wirtschaftliche, Dimension, so Vestager. „Starke Demokratien beruhen nämlich auch auf lebendigen, offenen und fairen Märkten. Wir gehen nicht jeden Tag zur Wahl, aber wir gehen jeden Tag auf den Markt. Und bei jeder Entscheidung, die wir als Verbraucher treffen, haben wir ein Mitspracherecht. Diese Wahlmöglichkeiten zu schützen, ist der Zweck des Gesetzes über digitale Märkte.“
Das Gesetz über digitale Märkte beruhe auf einer einfachen Feststellung: Mit Größe kommt Macht – und mit Macht kommt Verantwortung! Viele digitale Plattformen seien über ihre Rolle als einfache „Vermittler“, die Angebot und Nachfrage miteinander verbinden, hinausgewachsen. „Sie haben Monopole für ihre Dienste geschaffen und fungieren als Torwächter für Millionen anderer kleiner Unternehmen, die keine andere Wahl haben, als die eine Torwächterplattform zu nutzen, um die Kunden zu erreichen.“ Die Verordnung stelle die Fairness wieder her und schränke die Möglichkeiten der größten Plattformen ein, ihre Marktmacht zu nutzen. Sie verpflichte die Plattformen dazu, die Tore der Online-Marktplätze offen zu halten und verbiete unlauteres Verhalten.
Das Gesetz über die digitalen Dienste (DSA) und das Gesetz über digitale Märkte (DMA) könnten im Januar 2023 in Kraft treten, wenn das Europaparlament und der Ministerrat beide Vorschläge bis zum kommenden Frühjahr verabschieden.
EU-Kommission / 26.10.2021