Die Europäische Kommission hat Dienstag ihr Arbeitsprogramm für 2022 angenommen. Es enthält 42 neue Gesetzgebungsinitiativen zu allen sechs übergreifenden Zielen der politischen Leitlinien von Kommissionspräsidentin von der Leyen. Diese basieren auf ihrer Rede zur Lage der Union des Jahres 2021. Das Arbeitsprogramm greift zudem Erkenntnisse aus der Pandemiekrise auf und widmet der jungen Generation mit dem vorgeschlagenen Europäischen Jahr der Jugend 2022 besondere Aufmerksamkeit. „Das vergangene Jahr hat gezeigt, welche Herausforderungen wir bewältigen können und was wir für die Bürgerinnen und Bürger Europas erreichen können, wenn wir gemeinsam handeln“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Wir müssen im nächsten Jahr daran anknüpfen, zum Beispiel indem wir unsere Maßnahmen zum Erreichen der Klimaneutralität in Europa bis 2050 umsetzen, unsere digitale Zukunft gestalten, unsere einzigartige soziale Marktwirtschaft stärken und unsere Werte und Interessen innerhalb und außerhalb Europas verteidigen.“ Die Kommission nimmt jedes Jahr ein Arbeitsprogramm an, mit Maßnahmen, die sie im kommenden Jahr in Angriff nehmen möchte.
Die Präsidentin erklärte zum Arbeitsprogramm weiter: „Die kombinierte Schlagkraft des langfristigen EU-Haushalts und des Instruments NextGenerationEU, aus denen zusammen 2,018 Bio. Euro bereitgestellt werden, werden uns helfen, ein besseres und moderneres Europa aufzubauen.“
Maroš Šefčovič, Vizepräsident für interinstitutionelle Beziehungen und Vorausschau, fügte hinzu: „Es reicht nicht aus, dass wir uns von einer Krise dieser Größenordnung lediglich erholen, sondern wir müssen stärker und resilienter werden. Das Arbeitsprogramm für 2022, das wir heute vorlegen, steht unter diesem Vorzeichen. Es unterstreicht unsere Entschlossenheit, gestärkt aus der Pandemie hervorzugehen und gleichzeitig die Chancen zu nutzen, die sich aus dem grünen und digitalen Wandel ergeben. Ich hoffe nun auf eine rasche Einigung mit dem Europäischen Parlament und dem Rat über die zentralen Legislativvorschläge, damit wir gemeinsam Verbesserungen für unsere Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Interessenträger verwirklichen können.“
Umsetzung der sechs übergreifenden Ziele
Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2022 enthält die nächsten Schritte der Transformationsagenda der Kommission, welche nach Überwindung der COVID-19-Krise zu einem grüneren, gerechteren, digital besser aufgestellten und resilienteren Europa führen sollen.
- Europäischer Grüner Deal
Die Kommission wird weiter daran arbeiten, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen. Zusätzlich zu ihrem im Jahr 2021 als Teil des europäischen Grünen Deals vorgestellten Pionierpakets „Fit for 55“ wird die Kommission einen Rechtsrahmen für die Zertifizierung der CO2-Entfernung vorschlagen. Ferner wird sie weitere Schritte hin zur emissionsfreien Mobilität unternehmen, beispielsweise durch eine Überprüfung der CO2 -Emissionsnormen für schwere Nutzfahrzeuge, den Null-Schadstoff-Aktionsplan zur Verbesserung der Wasser- und Luftqualität voranbringen, neue Vorschriften für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden festlegen und die Kreislaufwirtschaft voranbringen, indem das Recht, Produkte reparieren zu lassen, anstatt sie zu ersetzen, gestärkt wird. Neben dem bereits vorgeschlagenen Klima-Sozialfonds wird die Kommission auch andere Mittel mobilisieren und so die externen Finanzierungen für biologische Vielfalt verdoppeln. Grüne Anleihen werden ebenfalls eine immer wichtigere Rolle spielen: Sie verkörpern unsere Entschlossenheit, ein nachhaltiges Finanzwesen in den Mittelpunkt der Aufbaumaßnahmen der EU zu stellen.
- Ein Europa für das digitale Zeitalter
Angesichts der Pandemie, die als Katalysator für die Digitalisierung der Welt gewirkt hat, wird die Kommission ihren Weg in das digitale Jahrzehnt weiterverfolgen, damit der digitale Wandel in der EU bis 2030 vollzogen wird. Der Binnenmarkt ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung für Europas Innovation. Daher hat die Kommission die Wettbewerbspolitik überprüft und wird ein Notfallinstrument für den Binnenmarkt vorschlagen, um künftige Störungen zu verhindern. Um die dringenden Probleme im Zusammenhang mit der Lieferung von für digitale Lösungen erforderlichen Halbleitern auszuräumen, werden wir ein europäisches Computerchip-Gesetz vorlegen, das ein hochmodernes Chip-Ökosystem fördern und neue Märkte für bahnbrechende europäische Technologien eröffnen soll. Ferner wird die Kommission ein europäisches Gesetz über Cyberresilienz vorschlagen, das gemeinsame Cybersicherheitsnormen festlegt, und mit der Errichtung eines sicheren weltraumgestützten globalen EU-Kommunikationssystems beginnen, das den Mitgliedstaaten eine zusätzliche EU-weite Breitbandanbindung bietet und ihnen eine sichere und unabhängige Kommunikation ermöglicht. Maßnahmen, um digitale Kompetenzen in Schulen und Hochschulen zu fördern und zu entwickeln, werden ebenfalls ganz oben auf der Tagesordnung stehen.
- Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen
Nun, da sich die Erholung beschleunigt und sich die Wirtschaftstätigkeit wieder dem Vorkrisenniveau annähert, müssen wir darüber nachdenken, wie wir unsere soziale Marktwirtschaft resilienter machen können. Die Kommission wird sich weiter für die Umsetzung des Aktionsplans zur europäischen Säule sozialer Rechte einsetzen, der als Richtschnur hin zu hochwertigen Arbeitsplätzen, fairen Arbeitsbedingungen und einem ausgewogeneren Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben dient. Zudem wird sie einen Vorschlag zur Verbesserung des Schutzes von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegen die Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz vorlegen. Um die Politik der Mitgliedstaaten zu unterstützen, wird die Kommission die Netze der sozialen Sicherheit verstärken, die für die Abfederung wirtschaftlicher Schocks unerlässlich sind. Hierzu wird sie eine Initiative für ein angemessenes Mindesteinkommen vorlegen. Da der Finanzsektor für die wirtschaftliche Erholung von entscheidender Bedeutung ist, wird die Kommission überdies einen Vorschlag für Sofortzahlungen vorlegen, um eine umfangreiche Nutzung solcher Zahlungen zu fördern, sowie einen Vorschlag, um Unternehmen in der EU den Zugang zu Kapital zu erleichtern. Sobald eine globale Lösung für eine Reform des internationalen Rahmens für die Unternehmensbesteuerung fertiggestellt ist, wird die Kommission dafür sorgen, dass diese in der gesamten EU rasch und einheitlich umgesetzt wird.
- Ein stärkeres Europa in der Welt
Die Kommission wird weiterhin daran arbeiten, dass die EU ihre globale Führungsrolle, die sie zu ihrem Markenzeichen gemacht hat, ausbaut. Im kommenden Jahr wird die Kommission eine neue „Global Gateway“-Strategie vorstellen, in deren Rahmen Konnektivitätspartnerschaften mit Ländern in der ganzen Welt aufgebaut und Handel und Investitionen gestärkt werden. Bis Ende dieses Jahres wird eine neue Gemeinsame Erklärung der EU und der NATO vorgelegt, und die Kommission wird versuchen, die Arbeiten zur Schaffung einer echten europäischen Verteidigungsunion zu beschleunigen. Im Hinblick auf die globale Energiewende und gesündere Ozeane werden eine neue Strategie für das internationale Handeln im Energiebereich und ein Aktionsplan für die internationale Meerespolitik vorgelegt.
- Förderung unserer europäischen Lebensweise
Um dafür zu sorgen, dass junge Menschen ihre Zukunft gestalten können, hat die Kommission vorgeschlagen, 2022 zum Europäischen Jahr der Jugend zu erklären, und wird eine neue Initiative namens ALMA (Aim, Learn, Master, Achieve) ins Leben rufen, die dazu beitragen soll, dass benachteiligte junge Menschen in Europa, die weder eine Arbeit haben noch eine schulische oder berufliche Ausbildung absolvieren, Berufserfahrung im Ausland sammeln können und dabei die notwendige soziale Unterstützung erfahren. Das übergeordnete Ziel besteht darin, diesen Menschen den Einstieg in die allgemeine oder berufliche Bildung oder in hochwertige Beschäftigungsverhältnisse zu ermöglichen. Des Weiteren wird die Kommission eine europäische Hochschulstrategie vorstellen und Möglichkeiten für eine vertiefte und nachhaltigere transnationale Zusammenarbeit im Hochschulbereich vorschlagen. Unter Berücksichtigung der Lehren aus der Pandemie wird die Kommission eine europäische Strategie für Pflege und Betreuung vorlegen, um diesen Bereich – von der Kinderbetreuung bis zur Langzeitpflege – umfassend zu verbessern. Um die Europäische Gesundheitsunion weiter auszubauen, wird die Kommission einen neuen Rahmen für einen dynamischen Arzneimittelsektor in der EU vorschlagen und auf diese Weise den Zugang zu erschwinglichen und hochwertigen Arzneimitteln ermöglichen, eine Überarbeitung der Rechtsvorschriften über Arzneimittel für Kinder und für seltene Krankheiten vorlegen und mit einer Empfehlung zur Krebsfrüherkennung die lebensrettende Krebsvorsorge und -früherkennung fördern.
- Neuer Schwung für die Demokratie in Europa
Die Konferenz zur Zukunft Europas, die inzwischen in vollem Gange ist, und die europäischen Bürgerinitiativen werden weiterhin dazu beitragen, die europäische Demokratie zu dynamisieren. Da dies für das reibungslose Funktionieren der EU von zentraler Bedeutung ist, wird die Kommission weiterhin die Rechtsstaatlichkeit schützen und außerdem weitere Schritte zum Schutz der Pressefreiheit und des Pluralismus der Medien unternehmen, indem sie einen Europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit vorlegt. Um stärker gegen grenzüberschreitende Kriminalität vorzugehen, wird ein gemeinsamer Rechtsrahmen für die effiziente Übertragung von Strafverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ebenfalls ganz oben auf der Tagesordnung bleiben. Ferner wird die Kommission ihre Bemühungen um die Gestaltung des neuen interinstitutionellen Ethikgremiums der EU in enger Abstimmung mit anderen Organen fortsetzen. Um die Gleichstellung aller Menschen zu gewährleisten, wird die Kommission Maßnahmen zur Verbesserung der Anerkennung der Elternschaft zwischen den Mitgliedstaaten vorschlagen. Außerdem wird die Kommission eine Initiative zur Verhinderung der Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte und zur Abfederung der Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Bevölkerungsrückgang vorlegen, in der mögliche Lösungen aufgezeigt werden.
Anhang 1 des Arbeitsprogramms der Kommission für 2022 enthält eine vollständige Liste der 42 neuen Gesetzgebungsinitiativen gemäß 32 politischen Zielen im Rahmen der sechs übergreifenden Ziele.
„One-in-one-out“-Grundsatz
Um den Aufwand im Zusammenhang mit den politischen Zielen der EU so gering wie möglich zu halten, wird sich die Kommission mit diesem Arbeitsprogramm vollumfänglich an den „One-in-one-out“-Grundsatz halten. Dadurch wird sichergestellt, dass sie bei der Einführung unvermeidlicher neuer Belastungen systematisch und proaktiv die Belastungen verringert, die durch bestehende Rechtsvorschriften im selben Politikbereich verursacht werden. Die voraussichtlichen Kosten für die Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften werden transparenter quantifiziert und systematisch in Folgenabschätzungen dargelegt, und Verwaltungskosten werden ausgeglichen. Eine bessere Rechtsetzung wird auch Nachhaltigkeit und den digitalen Wandel weiter fördern, indem der Fokus auf die Grundsätze „Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen“ und „standardmäßig digital“ gelegt wird.
Nächste Schritte
Die Kommission wird Gespräche mit dem Parlament und dem Rat aufnehmen, um eine Liste gemeinsamer gesetzgeberischer Prioritäten zu erstellen, zu denen nach Ansicht der gesetzgebenden Organe rasch Maßnahmen eingeleitet werden sollen. Die Kommission wird weiterhin mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten und sie weiter dabei unterstützen, die Umsetzung der neuen und bestehenden EU-Vorschriften sicherzustellen, und wird nicht zögern, das EU-Recht bei Bedarf im Wege von Vertragsverletzungsverfahren durchzusetzen.
Hintergrund
Dem Arbeitsprogramm können die Bürgerinnen und Bürger sowie die an der Gesetzgebung beteiligten Organe der EU entnehmen, welche neuen Initiativen die Kommission vorlegen, welche nicht verabschiedeten Vorschläge sie zurückziehen und welche bestehenden EU-Vorschriften sie überarbeiten wird. Nicht im Arbeitsprogramm erfasst sind hingegen die laufenden Aufgaben der Kommission, d. h. ihre Rolle als Hüterin der Verträge mittels der Durchsetzung bestehenden EU-Rechts oder die Wahrnehmung ihr obliegender jährlich wiederkehrender Maßnahmen. Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2022 ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament, den Mitgliedstaaten und den beratenden Gremien der EU.
EU-Kommission / 19.10.2021