Anlässlich des heutigen Treffens von Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko ruft Reporter ohne Grenzen (RSF) die internationale Gemeinschaft dazu auf, die in Belarus unterdrückte Zivilgesellschaft stärker zu unterstützen. Mehrere Organisationen, die sich für Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen, hat das belarussische Regime aufgelöst, darunter die RSF-Partnerorganisation Belarussische Journalistenvereinigung (BAJ). Etliche Medienschaffende sind wegen der Repressionen seit der umstrittenen „Wiederwahl“ Lukaschenkos am 9. August 2020 ins Ausland geflohen. Unter anderem die EU erkennt Lukaschenko nicht mehr als Präsident von Belarus an.
„Die Belarussische Journalistenvereinigung bleibt unsere zuverlässige Partnerin im Einsatz für mehr Presse- und Meinungsfreiheit in Belarus“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das Regime Lukaschenko hat inzwischen sehr viele mutige Journalistinnen und Menschenrechtsverteidiger gezwungen, ihr Land zu verlassen. Demokratische Regierungen sollten sie deutlich aktiver darin unterstützen, ihre wichtige Arbeit auch im Ausland fortzuführen und ihnen zumindest zeitweise Schutz vor Verfolgung bieten.“
Gericht erklärt RSF-Partnerorganisation für aufgelöst
Am 27. August hatte das Oberste Gericht die BAJ offiziell für aufgelöst erklärt. Die BAJ stand seit vielen Jahren im Visier der Behörden, insbesondere seit den Protesten nach der umstrittenen „Wiederwahl“ Alexander Lukaschenkos im August 2020. Im Februar 2021 wurden die Büros von BAJ und die Wohnungen mehrerer Mitarbeitenden durchsucht und Dokumente beschlagnahmt. Im Juni ließ das Justizministerium erneut die Räume durchsuchen, nahm weitere Dokumente mit und forderte die BAJ auf, Tausende von Seiten an Papieren vorzulegen – eine Forderung, der die BAJ innerhalb der festgesetzten Frist von nur zwei Tagen und wegen der Beschlagnahmungen zum Teil gar nicht nachkommen konnte. Bei einer Razzia am 14. Juli wurden die Büros der Organisation endgültig versiegelt und ihre Bankkonten eingefroren.
Reporter ohne Grenzen protestierte Anfang August beim Obersten Gerichtshof von Belarus mit einem Amicus-Curiae-Brief gegen die drohende Auflösung der BAJ und legte darin dar, dass Belarus mit einem solchen Schritt in eklatanter Weise gegen internationale Verpflichtungen bei der Vereinigungs- und Meinungsfreiheit verstoßen würde. Die BAJ, seit Jahren die RSF-Partnerorganisation in Belarus, wurde 1995 gegründet und kämpft mit ihren fast 1.500 Mitgliedern für mehr Pressefreiheit. Die EU verlieh ihr dafür 2005 den Sacharow-Preis für Menschenrechte. Der BAJ-Vorsitzende Andrej Bastunez erklärte nach der formellen Auflösung, die Organisation werde ihre Arbeit ungeachtet der Entscheidungen von Gerichten und Behörden im Rahmen der Gesetze fortführen und sei „vereint im Bewusstsein ihres Auftrags, den Raum für freie Meinungsäußerung in Belarus zu erweitern“.
Mit Verboten, Festnahmen und Gewalt gegen die Zivilgesellschaft
Vor der BAJ hatten die Behörden in Belarus bereits andere Organisationen wie den PEN-Club oder den Presseclub Belarus verboten. Im Dezember waren sechs führende Mitglieder des Presseclubs festgenommen worden. Ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung in großem Stil gegen Direktorin Julia Sluzkaja, in dem mehrere ihrer Mitarbeitenden der Beihilfe bezichtigt waren, wurde am 31. August eingestellt. Nach wie vor in Haft ist TV-Journalistin Ksenia Luzkina, die früher beim staatlichen Fernsehen arbeitete und zusammen mit dem Presseclub einen unabhängigen TV-Sender aufbauen wollte. Sie weigerte sich, ein Begnadigungsgesuch an Lukaschenko zu unterschreiben und ist nun mit einem neuen Strafverfahren konfrontiert. Ihr Gesundheitszustand hat sich seit der Verhaftung vor acht Monaten dramatisch verschlechtert, unter anderem wegen eines Gehirntumors, der im Gefängnis nicht behandelt wird.
Angaben der Belarussischen Journalistenvereinigung zufolge sind momentan mindestens 28 Journalistinnen und Journalisten in Belarus im Gefängnis, gegen etwa 50 Medienschaffende laufen Strafverfahren. Seit August 2020 zählte die Organisation rund 500 Festnahmen von Reporterinnen und Reportern, etwa 120 von ihnen wurden zu Arreststrafen verurteilt. In fast 70 Fällen gingen die Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen Medienschaffende vor. Mehr als 100 Internetseiten regimekritischer Medien oder zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden gesperrt, mindestens zehn Publikationen auf landesweiter und regionaler Ebene mussten ihr Erscheinen einstellen.
RSF / 09.09.2021