In Afghanistan entwickelt sich eine Medienlandschaft, in der Journalistinnen zunehmend fehlen werden. Die vergangenen Tage zeigen erneut, dass die Behauptung der Taliban, die Pressefreiheit respektieren zu wollen und Journalistinnen weiterhin arbeiten zu lassen, nicht der Wahrheit entspricht. In der Hauptstadt Kabul ist die Zahl der Frauen, die für die acht größten Medienunternehmen arbeiteten, von mehr als 500 auf unter 80 gesunken. Auch in den Provinzen Kabul, Herat und Balkh waren die meisten Journalistinnen gezwungen, ihre Arbeit einzustellen.
„Journalistinnen müssen so schnell wie möglich wieder uneingeschränkt arbeiten können. Das ist nicht nur ihr grundlegendes Recht und unerlässlich für ihren Lebensunterhalt. Ihr Ausschluss würde auch bedeuten, dass afghanische Frauen nicht mehr in der Medienlandschaft repräsentiert werden. Wir fordern sofortige Garantien für die Freiheit und Sicherheit von afghanischen Journalistinnen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.
In der Hauptstadt verschwinden Journalistinnen allmählich aus der Medienlandschaft, wie eine Untersuchung von Reporter ohne Grenzen (RSF) und der Partnerorganisation vor Ort, dem Zentrum für den Schutz afghanischer Journalistinnen (CPAWJ), zeigt. Von den 510 Frauen, die früher für die acht größten Medienunternehmen gearbeitet haben, sind heute nur noch 76 tätig, 39 von ihnen arbeiten journalistisch.
Auch in den Provinzen sind die meisten Journalistinnen gezwungen, ihre Arbeit einzustellen, wo fast alle privaten Medienunternehmen mit dem Vormarsch der Taliban schließen mussten. Eine Handvoll dieser Journalistinnen schafft es immer noch, mehr oder weniger von zu Hause aus zu arbeiten. Das entspricht aber nur einem Bruchteil der mehr als 1700 Frauen, die 2020 laut der Erhebung von RSF und CPAWJ in den Provinzen Kabul, Herat und Balkh für Medienunternehmen tätig waren.
Gewalt und Schikanen gegen Journalistinnen
Rund zwei Tage, nachdem die Taliban die Kontrolle über die Hauptstadt übernommen hatten, wagten es Reporterinnen privater Fernsehsender wie Tolonews, Ariana News, Kabul News, Shamshad TV und Khurshid TV, wieder auf Sendung zu gehen und von den Straßen und auf öffentlichen Plätzen zu berichten. Einige wurden jedoch angegriffen und bei ihrer Arbeit behindert. Nahid Bashardost, Reporterin der unabhängigen Nachrichtenagentur Pajhwok, wurde am 25. August während der Berichterstattung in der Nähe des Kabuler Flughafens von Taliban-Kämpfern geschlagen. Andere Journalistinnen schilderten, wie Taliban-Wachen, die vor dem Mediengebäude stationiert waren, sie daran hinderten, nach draußen zu gehen und zu berichten.
Journalistinnen werden im Studio fast genauso wenig geduldet wie diejenigen, die von den Straßen berichten. Eine Reporterin eines Radiosenders in der südöstlichen Provinz Ghazni berichtete, dass die Taliban zwei Tage, nachdem sie die Kontrolle über die Provinz übernommen hatten, den Sender besuchten und warnten: „Ihr seid ein privater Radiosender. Ihr könnt weitermachen, aber ohne Frauenstimmen und ohne Musik.“
Ähnlich sieht es in Kabul aus. Die Taliban haben eine Nachrichtensprecherin beim staatlichen Sender Radio Television Afghanistan (RTA) ersetzt. Sie wurde angewiesen, „ein paar Tage zu Hause zu bleiben“. Einer anderen Nachrichtensprecherin wurde der Zutritt zum Gebäude verweigert. RTA beschäftigte bis Mitte August 140 Journalistinnen. Heute traut sich keine von ihnen mehr, bei den staatlichen Fernsehsendern zu arbeiten, die jetzt unter der Kontrolle der Taliban stehen. Auch Führungskräfte und Chefredakteure privater Medien, die weiterhin senden, bestätigen, dass sie ihren angestellten Journalistinnen unter dem Druck der Taliban geraten haben, zu Hause zu bleiben.
Zan TV (Dari für „Frau TV“) und Bano TV haben seit dem 15. August ihren Betrieb eingestellt. Die beiden privaten Fernsehsender beschäftigten 35 beziehungsweise 47 Journalistinnen. Eine von ihnen sagte RSF: „Es war der perfekte Job für mich. Ich wollte Frauen helfen. Jetzt weiß ich nicht, ob ich jemals wieder arbeiten kann.“ Ohne Job und Gehalt droht ihr nun wie vielen anderen Journalistinnen auch die Armut.
Trotz der Zusage des Taliban-Sprechers Zabihullah Mujahid, dass Frauen „in einigen Tagen wieder arbeiten können“, wurde keine entsprechende Maßnahme angekündigt. Hunderte von Journalistinnen sind gezwungen, in Angst und Ungewissheit zu Hause zu bleiben.
RSF / 01.09.2021