Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) macht sich dafür stark, dass deutlich mehr migrierte Lehrkräfte an die Schulen in Deutschland kommen. Dafür sei es notwendig, die Hürden abzubauen, die im Ausland ausgebildete Lehrkräfte nehmen müssen, um in der Bundesrepublik in den Schuldienst zu kommen. „Jahr für Jahr könnten bundesweit nach unseren Schätzungen bis zu 1.375 migrierte Lehrkräfte eine volle Lehramtsbefähigung erhalten. Das Potenzial zur Unterrichtsversorgung ist noch größer. Trotz des dramatischen Lehrkräftemangels wird jedoch tausenden zugewanderten Lehrerinnen und Lehrern der Weg an die Schulen verbaut. Die Länder sollten diese Ressourcen nicht länger verschleudern, sondern wertschätzen und als zusätzliche Chance für die Schulen, für die Kinder, für mehr Vielfalt im öffentlichen Dienst nutzen“, sagte GEW-Vorsitzende Maike Finnern während der Vorstellung der Studie „Verschenkte Chancen?!“ zur Anerkennungs- und Beschäftigungspraxis migrierter Lehrkräfte in Deutschland in einer virtuellen Pressekonferenz am Montag in Frankfurt a.M. Um dieses Potenzial auszuschöpfen und migrierten Lehrkräften adäquate Beschäftigungsperspektiven zu bieten, sei es dringend notwendig, die Anerkennungsverfahren sachgerechter und transparenter zu gestalten, Zugänge zu erforderlichen Nachqualifizierungen zu erleichtern und zielgruppenspezifische Angebote auszubauen.
Der Handlungsbedarf sei den zuständigen Beratungsstellen und Behörden durchaus bekannt, sagte die GEW-Vorsitzende mit Blick auf die in der Studie ausgewerteten Daten und Informationen. Die Zahlen sprächen für sich. So wurden von 2016 bis 2018 mindestens 12.000 Menschen beraten, die ihre im Ausland erworbenen Qualifikationen für den Lehrkräfteberuf anerkennen lassen wollten. Im gleichen Zeitraum wurden 7.365 Erstanträge auf Anerkennung registriert. Bei 11 Prozent wurde im jährlichen Durchschnitt die volle Gleichwertigkeit mit einem in Deutschland erworbenen Abschluss festgestellt, 17 Prozent erhielten ablehnende Bescheide und 68 Prozent sollten eine Ausgleichsmaßnahme beginnen. Bislang gelingt jährlich nur etwa 500 Lehrkräften mit ausländischen Abschlüssen – entweder unmittelbar oder über eine erfolgreich absolvierte Ausgleichsmaßnahme – die volle Anerkennung für das Lehramt. Das sind lediglich 20 Prozent derjenigen, die einen Antrag auf Anerkennung stellen.
Deshalb sei es dringend erforderlich, die Anerkennungsquote und vor allem den viel zu niedrigen Anteil der erfolgreich abgeschlossenen Ausgleichsmaßnahmen zu erhöhen, betonte Finnern. Dafür sei ein Bündel an Maßnahmen notwendig. „Anerkennungsverfahren und Ausgleichsmaßnahmen müssen niedrigschwelliger gestaltet, die damit verbundenen Kosten für migrierte Lehrkräfte gesenkt werden. Auch beim Erwerb der erforderlichen Deutschkenntnisse und Sprachnachweise müssen diese besser unterstützt werden“, sagte die GEW-Vorsitzende.
Hürden und Diskriminierungen im Anerkennungsprozess solle entschlossener entgegengewirkt werden – dann verbesserten sich auch die Beschäftigungschancen. Dazu müssten zielgruppengerechte Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangeboten ausgebaut werden. „Mit Blick auf die hohen Kompetenzanforderungen in der deutschen Sprache muss sowohl bei den Anerkennungsregelungen der Länder als auch bei der Angebotsstruktur und Qualität von Deutschsprachkursen nachgesteuert werden. Bereits bei der Antragstellung ein C2-Zertifikat zu verlangen, ist weder angemessen noch zielführend. Außerdem gilt es, Kompetenzen in den Herkunftssprachen und berufliche Erfahrungen der zugewanderten Lehrkräfte stärker wertzuschätzen. Dafür gibt es bereits einige gute Ansätze und positive Erfahrungen“, sagte Finnern.
Zielgruppenspezifische Qualifizierungsangebote an einzelnen Hochschulen und auf regionaler Ebene sollten entsprechend weiterentwickelt und ausgebaut werden. Grundsätzlich sollte auch der Zugang zu Ausgleichsmaßnahmen vereinfacht, Eignungsprüfungen sowie Anpassungslehrgänge stärker an den Bedarfen migrierter Lehrkräfte ausgerichtet werden. „Viele migrierte Lehrkräfte schrecken die oft hohen Kosten für die Anerkennung und Nachqualifizierung ab“, unterstrich Finnern. Daher müsse die Förderung durch Zuschüsse auf Bundes- und Länderebene ausgeweitet werden. „Für die schnellere Bearbeitung, eine höhere Transparenz sowie bessere Koordination und Begleitmaßnahmen im Anerkennungsprozess brauchen die zuständigen Stellen mehr personelle Kapazitäten. Die Verantwortlichen von Bund und Ländern müssen stärker an einem Strang ziehen und Butter bei die Fische geben“, mahnte die GEW-Vorsitzende. Als sinnvoll bewertete sie das Knowhow und die Angebote im Rahmen des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung“. Sie stellte abschließend weitere Aktivitäten der Bildungsgewerkschaft in Aussicht und betonte das Interesse an mehr Austausch und Kooperation mit Politik und Behörden.
GEW / 06.09.2021