Ein Projekt zur hessenweiten Überwachung der Abwässer auf SARS-CoV-2-Viren durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt unterstützt das Land Hessen mit rund 1,5 Mio. Euro. Für mehr Flexibilität und Geschwindigkeit bei Entnahme und Analyse der Wasserproben sorgt dabei die Entwicklung und Einrichtung eines mobilen Labors. Mit den im Abwasser gemessenen Mengen an Viren-Erbgut (RNA) und dessen Analyse kann das Infektionsgeschehen bis zu 14 Tage schneller abgebildet werden als über die Testung von Einzelpersonen. Zudem können noch nicht klinisch nachgewiesene Mutationen sowie lokale Mutationscluster früher erfasst werden.
„Mit der Erprobung eines landesweiten Monitorings in Abwässern startet Hessen als erstes Bundesland in eine neue Phase der Pandemiebekämpfung“, erklärt Wissenschaftsministerin Angela Dorn. „Die TU Darmstadt hat im Zuge ihrer Forschungs- und Validierungsarbeiten bereits eine europaweit herausragende Expertise im abwasserbasierten Monitoring von SARS-CoV-2 entwickelt. Dank des außergewöhnlichen Engagements der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. Susanne Lackner können wir nun bei der Beobachtung, Bewertung und damit letztlich Bekämpfung der Pandemie in Hessen auf ein neues, hoch effektives Instrument zurückgreifen. Denn das neue, schnelle System verschafft uns Zeit – wichtige Zeit, die sinnvoll für gezielte Virusbekämpfungs- und Präventionsmaßnahmen vor Ort zum Beispiel bei lokalen Ausbrüchen genutzt werden kann.“
„Die an der TU Darmstadt entwickelten Methoden haben sich in der Anwendung bewährt. Was noch fehlt, um die Methode für ein flächendeckendes Monitoring zu nutzen, sind vor allem Standards und Strukturen zur Verarbeitung und Nutzung sowie Parameter für die epidemiologische Bewertung der Daten durch die Gesundheitsbehörden“, so Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. „Ich freue mich sehr, dass im Schulterschluss der Landesbehörden mit den Spitzenforscherinnen und Spitzenforschern diese Lücke möglichst bald geschlossen werden kann. Dafür bringen wir das gewonnene Wissen aus der Forschung direkt in die Anwendung, ein echter Wissenstransfer in die Praxis. Das standardisierte Konzept für ein ganzheitliches abwasserbasiertes Corona-Monitoring wird sich als Referenz für eine Umsetzung auf Bundesebene anbieten. Die Europäische Kommission hat den Mitgliedsstaaten ein solches nationales Monitoring dringend angeraten.“
Entwicklung eines standardisierten Verfahrens
Auch die hessischen Ministerien für Gesundheit und Umwelt sind in das Projekt eingebunden. Über acht Monate werden rund 200 Proben von hessischen Kläranlagen untersucht. Die Auswahl erfolgt mit dem Ziel einer möglichst großen Abdeckung der Einwohner Hessens sowie des Flughafens Frankfurt als internationalem Reisedrehkreuz. Zunächst wird so das Abwasser von mehr als 40 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner über die gesamte Landesfläche verteilt beprobt und beobachtet. Die Ergebnisse der Beprobung werden durch das Hessische Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG) epidemiologisch bewertet und mit den Gesundheitsämtern geteilt, um ein standardisiertes Bewertungsverfahren zu entwickeln. Die Landesregierung finanziert das Modellvorhaben mit rund 700.000 Euro aus Mitteln des Gute-Zukunft-Sicherungsgesetzes und weiteren rund 160.000 Euro aus Haushaltsmitteln des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Für Entwicklung und Bau eines mobilen Labors, das die Beprobung der Kläranlagen zusätzlich unterstützen soll, stellt das Hessische Wirtschaftsministerium aus Mitteln der Technologieförderung insgesamt 600.000 Euro zur Verfügung. Der Vorteil am mobilen Labor liegt vor allem daran, dass die technisch anspruchsvolle und zeitlich aufwändige Analyse der Abwasserprobe schon im Laborbus, also an Ort und Stelle der Beprobung, begonnen werden kann und damit die Ergebnisse schneller vorliegen können.
„Die Forschung von Professorin Susanne Lackner zum Monitoring und der Sequenzierung von Corona-Viren im Abwasser adressiert ein gesellschaftlich höchst relevantes Thema“, unterstreicht Prof. Dr. Tanja Brühl, Präsidentin der TU Darmstadt. „Das darauf aufbauende Frühwarnsystem ist ein weiterer Baustein, der wertvolle Informationen zum Umgang mit der Corona-Pandemie liefert. Es ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie Innovationen aus der Forschung Möglichkeiten zur Bearbeitung gesellschaftlicher Herausforderungen aufzeigen. Ich freue mich, dass diese Arbeiten an der TU Darmstadt nun durch weitere Fördermittel des Landes Hessen unterstützt werden.“
„Die Genomanalyse von Abwasserproben ist aufwändiger als der rein quantitative Nachweis von Viren-RNA, liefert aber wichtige Informationen über die Verteilung von Mutationen“, erläutert die Projektverantwortliche Prof. Dr. Susanne Lackner vom Fachgebiet Wasser und Umweltbiotechnologie an der TU Darmstadt. „Der wichtigste Schritt für eine erfolgreiche Genomanalyse ist die Extraktion der Virus-RNA. Hier zahlt sich unsere jahrelange Erfahrung im Umgang mit Abwasserproben aus und wir haben mittlerweile ein sehr robustes Protokoll entwickelt, das sehr zuverlässige Ergebnisse liefert. Auch die Bioinformatik ist ein zentraler Baustein bei der Auswertung und wird für die Datenaufbereitung eine entscheidende Rolle spielen. Hier setzen wir auf die enge Zusammenarbeit mit dem HLPUG und den kommunalen Gesundheitsämtern, um die Daten am Ende möglichst zielgerichtet bereitzustellen. Unser Vorhaben hat außerdem das Potenzial, wichtige Erkenntnisse für ein abwasserbasiertes Frühwarnsystem für andere Krankheitserreger zu liefern, beispielsweise andere Viren oder antibiotikaresistente Keime, um damit zukünftigen Pandemien vorzubeugen oder sie schneller in den Griff zu bekommen.“
Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen / 06.09.2021