Zum zehnten Jahrestag der Erstunterzeichnung der Istanbul-Konvention haben 78 Anwaltskammern in der Türkei und Nordkurdistan gegen den Rückzug der Regierung aus dem Abkommen protestiert. Der Rückzug per Dekret aus dem Präsidentenamt ist juristisch nicht möglich, wird aber dennoch umgesetzt. Vor diesem Hintergrund erklären die Vorsitzenden der Anwaltskammern: „Wir teilen der Öffentlichkeit in allem Respekt mit, dass die Istanbul-Konvention weiter in Kraft ist, dass wir nicht aufgegeben haben und wir unseren juristischen Kampf fortsetzen werden.“
„Wir akzeptieren den Rückzug nicht“
In der Erklärung der Anwaltskammern heißt es: „Zum zehnten Jahrestag der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention am 11. Mai 2011, und damit auch der Erstunterzeichnung durch die Türkei, weisen wir erneut darauf hin, dass die Rücknahme des Übereinkommens per Präsidialdekret vom 20. März 2021 sowohl gesetzes- und verfassungswidrig ist als auch gegen internationale Übereinkünfte verstößt. Die Istanbul-Konvention wurde als Konsequenz aus der Gewalt gegen Frauen, der gesellschaftlichen Ungleichbehandlung der Geschlechter und der Diskriminierung von Frauen geschaffen und ordnet Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung ein. Der rechtswidrige Rückzug aus der Istanbul-Konvention ist absolut inakzeptabel. Die Pflicht des Staates besteht darin, die Rechte und das Leben der Einzelnen zu schützen und ein gewaltfreies Umfeld zu gewährleisten, indem Ungleichheit und Diskriminierung beseitigt werden.
Als Vorsitzende der Anwaltskammern und Unterzeichner:innen fordern wir die Regierung auf, die Entscheidung über den Austritt rückgängig zu machen und so zu verhindern, dass Frauen rechtlich schutzlos bleiben. Wir teilen der Öffentlichkeit in allem Respekt mit, dass das Übereinkommen von Istanbul sich weiterhin in Kraft befindet, dass wir die Istanbul-Konvention nicht aufgegeben haben und dass wir unseren juristischen Kampf fortsetzen werden.“
Zehn Jahre Istanbul-Konvention: Kritik an Austritt der Türkei
Amnesty International fordert die türkische Regierung auf, ihre Rückzugsentscheidung aus der Istanbul-Konvention zu revidieren und ruft zu einem internationalen Aktionstag unter dem Motto „Die Istanbul-Konvention rettet Leben” auf.
Zum zehnten Geburtstag der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die Türkei zur Kehrtwende aufgefordert. Der angekündigte Austritt Ankaras werde „katastrophale Auswirkungen auf die Rechte von Frauen und Mädchen in der Türkei haben”, erklärte Dominique Renault, Expertin für Menschenrechtsverletzungen an Frauen bei Amnesty International in Deutschland, am Montag in Berlin.
„Wir fordern die türkischen Behörden auf, ihre Entscheidung unverzüglich rückgängig zu machen und Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen, aber auch von LGBTI-Personen, zu ergreifen”, sagte Renault. Das Frauenschutzabkommen sei angesichts eines deutlichen Anstiegs von Berichten häuslicher Gewalt im Zuge der COVID-19-Einschränkungen heute wichtiger denn je.
Die Istanbuler Konvention wurde vom Europarat als völkerrechtlicher Vertrag ausgefertigt und schafft einen europaweiten Rechtsrahmen, um Gewalt gegen Frauen zu verhüten und zu bekämpfen. Das am 11. Mai 2011 in der Bosporusmetropole unterzeichnete Abkommen gilt als Meilenstein im Kampf gegen patriarchale Gewalt und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen sowie die Präventions- und Hilfsangebote zu verbessern. Die Türkei war der erste von 13 Erstunterzeichnerstaaten, der die Konvention ratifizierte.
Neben der Türkei kritisiert Amnesty International weitere Länder, die das Abkommen noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben oder Anstalten zu einem Ausstieg machten. Dies dürfe von Europa nicht hingenommen werden. Die Organisation sieht die europäische Staatengemeinschaft in der Pflicht, alles daran zu setzen, dass die Istanbul-Konvention nicht durch weitere Austritte untergraben wird.
Aktionstag „Die Istanbul-Konvention rettet Leben”
„Sich von der Konvention zurückzuziehen, ist ein folgenreicher Schritt für Millionen von Frauen und Mädchen und Organisationen, die den Überlebenden von sexualisierter und häuslicher Gewalt lebenswichtige Unterstützung geben. Es sendet das Signal, dass es ihre persönliche Sicherheit und ihr Wohlergehen nicht wert sind, geschützt zu werden. Es wäre zudem ein Rückschritt, der nach internationalen Menschenrechtsnormen verboten ist”, so Renault. Amnesty International ruft für den 11. Mai zu einem internationalen Aktionstag unter dem Motto „Die Istanbul-Konvention rettet Leben” auf, um Solidarität mit Frauen, Mädchen und Aktivist:innen, die in der Türkei gegen den Austritt ihres Landes aus dem Vertrag protestieren, zu zeigen. Eine Aktionsanleitung gibt es auf der Webseite der frauenpolitischen Koordinationsgruppe.
ANF